Die Toten befehlen
machten wohl seine Freunde zu dieser Stunde? Wovon erzählte man sich in seinem Café? Wer würde heute abend im Kasino sein? ...
Aber am nächsten Morgen hatte er für diese Gedanken nur ein mitleidiges Lächeln. Der neue Tag brachte neue Schönheit. Er wunderte sich, daß ihm die Großstadt immer so verführerisch erschienen war ... Das einzige Leben, das Zufriedenheit auslöste, führte er hier auf Ibiza.
Jaime blickte umher. Sein jetziger Salon war ruhiger und intimer als alle Säle im Palaste seiner Ahnen. Alles gehörte ihm, und er brauchte nicht zu fürchten, mit Wucherern teilen zu müssen. Sogar Antiquitäten besaß er, die ihm niemand streitig machen konnte. Nahe der Tür standen zwei Vasen, durch die Netze der Fischer vom Meeresgrunde gehoben. Lange Zeit mußten sie dort unten gelegen haben, denn ihre Außenseite war ganz bedeckt mit Girlanden vonversteinerten Muscheln. Mitten auf dem Tisch, zwischen den beiden Riesenmuscheln, hatte er ein anderes Geschenk vom alten Ventolera aufgestellt, den Kopf einer Frau, deren geflochtenes Haar eine Art Tiara krönte. Der graue, mit unzähligen harten Körnern gesprenkelte Ton der Büste zeugte von dem jahrhundertelangen Einfluß des salzigen Meerwassers. Aber Jaime erkannte durch diese Maske hindurch die Ruhe ihrer Gesichtszüge und die geheimnisvollen, mandelförmig geschnittenen Augen. Er sah sie, wie kein anderer sie sehen konnte. In langen Stunden stiller Betrachtung hatte er die reinen Linien dieses Antlitzes wiederhergestellt, wie sie vor Jahrtausenden gewesen waren.
»Schau sie an, es ist meine Braut«, sagte er eines Tages zu Margalida. »Ist sie nicht schön? Es muß eine Prinzessin von Tyrus oder auch von Askalon gewesen sein; darüber bin ich mir nicht klar. Aber sicher weiß ich, daß sie mich viertausend Jahre vor meiner Geburt geliebt und Jahrhunderte hindurch gesucht hat. Sie besaß Schiffe, Sklaven, Gewänder von Purpur und Paläste mit hängenden Gärten. Aber sie hat alles verlassen, um sich im Meere zu verbergen; hat Tausende von Jahren gewartet, daß sie eine Woge an diesen Strand trüge und der alte Ventolera sie mir ins Haus brächte ... Warum siehst du mich so an? Kleines Mädchen, von solchen Sachen verstehst du nichts!«
Margalidas Blicke verrieten in der Tat großes Erstaunen. Von ihrem Vater hatte sie Respekt und Ehrfurcht für den Herrn geerbt und war der Meinung, er könne nur von ernsthaften und vernünftigen Dingen sprechen. Aber was er ihr jetzt von seiner tausendjährigen Braut erzählte, stellte ihren Glauben auf eine harte Probe. Sie lächelte, betrachtete aber gleichzeitigmit abergläubischer Furcht die große Dame der Vergangenheit. Schließlich, wenn Don Jaime es sagte, mußte es doch wahr sein! Alles, was ihn betraf, war so ungewöhnlich! ...
Seit drei Monaten lebte Febrer auf der Insel. Seine Ankunft hatte Pèp Arabi in ungeheures Staunen versetzt. Der Herr von Can Mallorqui war noch immer damit beschäftigt, allen Verwandten und Freunden von seinen unglaublichen Abenteuern zu berichten. Wieder und wieder erzählte er von dem verwegenen Entschluß, mit den beiden Atlòts nach Mallorca zu segeln, von dem Aufenthalt in Palma und dem Besuche im Palast Febrer, diesem mit fabelhaften Schätzen angefüllten Märchenschloß.
Jaimes kurze Erklärungen überraschten ihn weniger.
»Pèp, ich bin ruiniert, du bist reich im Vergleich zu mir. Ich will den Turm bewohnen. Wie lange, weiß ich nicht, vielleicht für immer.«
Und dann sprach er von den Einzelheiten, wie er sein Leben führen wollte, während Pèp mit ungläubiger Miene lächelte. Ruiniert! ... Alle großen Herren sagten so; aber das, was sie nach ihrem sogenannten Ruin noch behielten, genügte, um vielen Armen für immer zu helfen. Ein Febrer und arm! Er schüttelte zweifelnd den Kopf.
Das Geld, das ihm Jaime für seine Verpflegung anbot, wies Pèp zurück. Hatte er nicht in Palma gesagt, daß er in diesem Jahre ein Stück Land bestellen wollte, das dem Herrn gehörte? Da mußte man ja ohnehin später abrechnen! Als er nun sah, daß Don Jaime darauf bestand, im Turm zu wohnen, gab sich Pèp die größte Mühe, das alte Gemäuer wohnlich zu gestalten.
Die Weltabgeschiedenheit, in der Febrer lebte, tat ihm wohl. Er schrieb keine Briefe und erhielt keine Zeitung. Wenn er lesen wollte, stand ihm nur das halbe Dutzend Bücher zur Verfügung, das er von Palma mitgebracht hatte. Das kleine Städtchen auf Ibiza mit seinen stillen, verschlafenen Straßen, erschien ihm wie eine
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