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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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ferne Großstadt.
    Im ersten Monat dieses neuen Lebens wurde sein Frieden durch ein außerordentliches Ereignis gestört. Ein Brief war angekommen. Mit ungelenker Hand und eigenartiger Orthographie schrieb ihm Toni Clapès auf dem Geschäftsbogen eines Cafes. In Palma gab es nichts Neues. Pablo Valls wollte nicht selbst schreiben, weil er sich über Jaime geärgert hatte. Fortzugehen, ohne ihn zu benachrichtigen! Aber als guter Freund war er trotzdem die ganze Zeit eifrig bemüht, Ordnung in Jaimes Angelegenheiten zu bringen und wenn möglich, noch etwas zu retten. Im Verkehr mit Febrers zahllosen Gläubigern bewies er eine diabolische Geschicklichkeit. Nicht umsonst war er Chueta ... Toni wünschte noch viel Glück und versprach, demnächst wieder zu schreiben.
    Seitdem waren zwei Monate verstrichen, ohne weitere Nachrichten zu bringen. Was kümmerten Jaime übrigens auch Neuigkeiten aus einer Welt, die für ihn begraben war? Er wußte nicht, was die Zukunft ihm bringen würde. Warum aber auch sich damit beschäftigen?
    Hier war er und hier blieb er. Jagd und Fischfang genügten als Zerstreuung.
    Trotzdem Jaime sich von den Eingeborenen fern hielt, die in ihm den Herrn, den Fremden sahen und ihn achtungsvoll, aber kühl behandelten, beobachteteer voller Interesse ihre einfachen, aber etwas wilden Sitten.
    Jahrhundertelang mußten die Bewohner dieser Insel Angriffe von Piraten und Korsaren abwehren. Noch heute machten die Dorfkirchen den Eindruck von Befestigungen. Die ständigen Gefahren und unaufhörlichen Kämpfe hatten eine Bevölkerung geschaffen, die, an Blutvergießen gewöhnt, ihr Recht mit den Waffen in der Hand verteidigte.
    Sobald ein Atlòt dem Knabenalter entwachsen war, erklärte ihm sein Vater feierlich in Anwesenheit der ganzen Familie:
    »Von heute ab bist du ein Mann!«
    Bei diesen Worten überreichte er ihm ein Dolchmesser, als Zeichen, daß er in Zukunft auf sich selbst angewiesen war und das Recht hatte, den Dolch auch zu gebrauchen. Der junge Bursche schloß sich nun den andern Atlòts an und nahm teil an ihrem fröhlichen Treiben. Sie brachten den Mädchen Serenaden, trafen sich mit ihnen zum Tanze und machten Ausflüge nach den benachbarten Kirchspielen, wenn das Fest des Schutzheiligen gefeiert wurde. Im Mittelpunkte aller Veranstaltungen aber standen die Festeigs, diese traditionelle Art der Bewerbung, die häufig den Grund zu blutigen Händeln bildete.
    Die Männer töteten sich niemals wegen materieller Interessen. Sie waren von Natur aus genügsam, und der fruchtbare Boden sorgte reichlich für ihre Bedürfnisse. Nur Liebe und Eifersucht brachten sie dazu, haßentbrannt das Messer zu ziehen oder nach der Pistole zu greifen.
    Die Festeigs dauerten Wochen und Monate. Die Atlòts kamen abends im Hause des jungen Mädchenszusammen, im Sommer auf der Veranda, im Winter in der Küche. Festlich geschmückt, saß die Atlòta unbeweglich in einer Ecke, solange die Bewerber unter sich die Reihenfolge ausmachten, in der sie nacheinander für kurze Minuten neben ihr Platz nehmen durften.
    Wenn einer von ihnen im Eifer der Unterhaltung die vorgeschriebene Zeit überschritt, mahnten ihn seine Rivalen durch wütende Blicke, Husten, ja sogar durch Drohungen. Genügte das nicht, dann ergriff ihn der Stärkste beim Arm und zog ihn fort, damit ein anderer seinen Platz einnehmen konnte.
    So folgten sich die Festeigs, bis das junge Mädchen, vollkommen unabhängig von dem Willen ihrer Eltern, ihre Wahl getroffen hatte.
    In diesem kurzen Frühling ihres Lebens war die Frau auf Ibiza wirklich eine Königin. Mit der Heirat verzichtete sie für immer auf irgendwelche Herrschaft und Rechte, bebaute wie ihr Mann das Feld und wurde nicht höher eingeschätzt als ein nützliches Haustier.
    Die abgewiesenen Freier zogen sich zurück, um einer anderen Atlòta den Hof zu machen. Waren sie aber ernstlich verliebt, so umspähten sie das Haus und lauerten dem Begünstigten auf, und es war ein Wunder, wenn er trotz Messer und Pistolen seiner Rivalen den Hochzeitstag erlebte.
    Man liebte es überhaupt auf Ibiza, seinen Gefühlen durch die Pistole Ausdruck zu verleihen. Bei dem sonntäglichen Tanz schoß der Atlòt, um seinen Enthusiasmus kundzutun. Verließ er das Haus des jungen Mädchens, dem er den Hof machte, so gab er als Zeichen seiner Wertschätzung in der Tür einen Schuß ab und rief dann: »Bòna nit.« Wenn er sich jedochgekränkt fühlte und der Familie eine Beleidigung antun wollte, so sagte er zuerst »gute

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