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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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Nacht« und schoß dann seine Pistole ab. Aber in diesem Falle mußte er unverzüglich die Flucht ergreifen, denn die Mitglieder der Familie antworteten auf seine Herausforderung ohne Zögern mit Kugeln.
    Jaime genoß das Vergnügen, von einem bequemen Platze aus ein interessantes Schauspiel anzusehen. Trotzdem er diese Bauern und Fischer, auf die sich der kriegerische Geist ihrer Vorfahren vererbt hatte, nur aus der Entfernung beobachtete, machte sich der Einfluß ihrer Gewohnheiten allmählich bei ihm geltend.
    Er besaß keine Feinde. Und dennoch trug er jetzt bei seinen Streifzügen auf der Insel einen Revolver in seinem Gürtel. Wer weiß, wozu es gut war! ...
    Zuerst hatte er sich ebenso gekleidet wie in Palma. Aber ganz unmerklich gewöhnte er sich daran, keine Krawatte mehr anzulegen. Dann blieb der Kragen fort und endlich auch die Schuhe. Für die Jagd und im Boot waren Bluse, Samthose und Sandalen der Bauern bequemer. Auch trug er den allgemein auf der Insel gebräuchlichen weichen Filzhut.
    Pèps Tochter sah mit Wohlgefallen diesen Hut. Die Bewohner der einzelnen Gemeinden von Ibiza unterschieden sich durch die Form der Krempe, unauffällige Abweichungen, die nur der Eingeborene erkannte. Don Jaimes Krempe gehörte in das Kirchspiel San José, und Margalida war ihm dankbar für die Ehre, die er damit ihrer Heimat erwies.
    Harmlose kleine Margalida! Febrer machte es Freude, mit ihr zu plaudern und das Staunen in ihrengroßen Augen zu sehen, wenn er ihr von fernen Ländern erzählte oder auch mit ernster Miene Scherze sagte.
    Bald mußte sie mit dem Essen kommen. Seit einer halben Stunde stieg eine dünne Rauchsäule aus dem Schornstein von Can Mallorqui. Jaime malte sich aus, wie Pèps Tochter am Herd stand oder eifrig in der Küche hin und her ging, von dem Blick der Mutter gefolgt, einer schweigsamen Bäuerin, die sich nicht erkühnte, bei der Zubereitung der für den Herrn bestimmten Gerichte zu helfen.
    Jeden Augenblick konnte Margalida auf der Veranda erscheinen, das Körbchen am Arm und auf dem Kopf, als Schutz gegen die glühende Sonne, ihren großen Strohhut mit langen Bändern.
    Endlich tauchte jemand zwischen den Bäumen auf und schlug den Weg zum Turm ein. Es war Margalida! Nein, sie war es nicht! Sollte es Pepet sein? Pepet, der sich seit einem Monat in der Stadt für das Seminar vorbereitete und daher schon jetzt das Kaplanchen genannt wurde?

II.
    »Schönen guten Tag, Don Jaime!«
    Pepet breitete eine Serviette aus über die Hälfte des Tisches und stellte vor Jaime zwei zugedeckte Teller und eine Flasche roten Landwein, durchsichtig wie Rubin. Dann setzte er sich auf den Boden, zog die Knie hoch, umschlang sie mit den Armen und verharrte unbeweglich in dieser Stellung. Seine klugen Augen sahen Jaime an mit dem Ausdruck eines treuen Hundes.
    »Ich dachte, du wärst in der Stadt, um Priester zu werden?« fragte ihn Febrer, der mit seiner Mahlzeit begann.
    Der Junge rümpfte die Nase.
    »Ich bin auch dort gewesen, Don Jaime. Der Vater hatte mich zu einem Professor vom Seminar gegeben. Aber dort gibt es keine Bäume, kaum Luft. Nichts ist erlaubt. Überall sind Gitter wie in einem Gefängnis. Welch schreckliche Zeit habe ich dort verbracht!«
    Das zutrauliche Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Kaplanchens, als er sich an den vergangenen Monat erinnerte.
    Der Professor, der sich in den Ferien langweilte, verwandte seine ganze Zeit darauf, den kleinen Bauernjungen in die Schönheit der lateinischen Sprache einzuweihen. Teils verließ er sich hierbei auf seine Beredsamkeit, teils auf einen derben Riemen. Bis zum Schulanfang wollte er aus Pepet ein kleines Wunderkind machen, und die Hiebe verdoppelten sich. Am vorhergehenden Tage hatte er ihm eine außergewöhnlich kräftige Ration verabreicht. Pepets Geduld war erschöpft. Ihn zu schlagen! Wenn es nicht ein Priester gewesen wäre! ... Er war aus dem Seminar geflüchtet und zu Fuß nach Can Mallorqui zurückgekommen, aber nicht, ohne vorher seinen Rachedurst befriedigt zu haben. Einige Bücher, die der Professor besonders schätzte, hatte er zerrissen, das Tintenfaß über den Tisch gegossen und an die Wände garstige Worte geschrieben.
    Der Abend in Can Mallorqui war stürmisch verlaufen. Die Rationen des Professors bedeuteten nichts im Vergleich zu den Prügeln, mit denen ihn sein Vater empfing. Außer sich vor Zorn würde er den Jungenumgebracht haben, wenn sich nicht Margalida und ihre Mutter dazwischengeworfen hätten.
    Das freundliche

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