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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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sie nie voneinander unterscheiden können. Die Begleitung der Musik und die Bewegungen waren bei beiden gleich. Der einzige Unterschied bestand im Rhythmus.
    Die Atlòta, den einen Arm wie einen Henkel auf die Hüfte gestemmt, während der andere an ihrem Kleide herabhing, begann, sich um sich selbst zu drehen. Auf diese Bewegung beschränkte sich ihr ganzer Tanz. Wie vorgeschrieben, schlug sie die Augen nieder und kniff den Mund zusammen, mit dem Ausdruck schamhafter Verachtung, als tanzte sie gegen ihren Willen. Unaufhörlich sich drehend, beschrieb sie immer wieder eine große Acht.
    Die Hauptrolle hatte ihr Partner. Dieser traditionelle Tanz, wahrscheinlich von den ursprünglichen Bewohnern der Insel, primitiven Piraten der heroischen Zeiten, erfunden, war ein Symbol der ewigen, menschlichenGeschichte: der Jagd auf das Weib. Die Tänzerin drehte sich kalt und gefühllos mit der Gleichgültigkeit einer geschlechtslosen Tugend, wich zurück vor den Sprüngen und Verrenkungen des Mannes und zeigte ihm voller Verachtung den Rücken, während er sich ständig ihr gegenüber bewegen mußte, um sie zu zwingen, ihn zu sehen und zu bewundern. Es war eine endlose Folge von frenetischen Bewegungen wie in den Kriegstänzen der afrikanischen Stämme, nur von dem Rhythmus der Musik geleitet. Manchmal öffnete er die Arme mit der feindseligen Bewegung des Bändigers. Dann wieder legte er die Hände im Nacken zusammen und sprang mit beiden Füßen hoch in die Luft.
    Das Mädchen blieb vollkommen ruhig. Kühl setzte es seine drehende Bewegung fort, ohne sie jemals im geringsten zu beschleunigen, während der Tänzer, schwindlig von seiner tollen Schnelligkeit, sich nach wenigen Minuten, schwer atmend und vor Erschöpfung zitternd, zurückziehen mußte. Jede Atlòta konnte so ohne Anstrengung mit mehreren Burschen hintereinander tanzen, die einer nach dem anderen ihre Kraft völlig verbrauchten. Es war der Triumph der weiblichen Passivität, die über das anmaßende Selbstgefühl des feindlichen Geschlechtes lächelt, da sie weiß, daß sie doch die Stärkere sein wird.
    Das Beispiel des ersten Paares riß alle anderen mit sich fort. In einem Augenblick war der ganze, freie Platz vor den Musikern gefüllt. Unter den schweren, plissierten Röcken bewegten sich die kleinen Füßchen in weißen Sandalen oder gelben Schuhen.
    Die Burschen holten sich mit derbem Griff ihre Partnerinnen. »Du«, sagten sie und zogen das Mädchenmit sich. Die Atlòts, die sich nicht beeilt hatten, warteten auf den Moment, daß einer der Tänzer Erschöpfung verriete. Dann zog einer ihn am Arm beiseite, rief ihm zu »laß sie mir« und nahm ohne weitere Erklärung seinen Platz ein. Mit frischen Kräften sprang der neue Tänzer um das junge Mädchen herum, das sich mit gesenkten Augen weiterdrehte und tat, als hätte es diesen raschen Wechsel nicht bemerkt.
    Jetzt sah Jaime auch Margalida tanzen, die bis dahin unter ihren Freundinnen verborgen gewesen war.
    Mandelblüte! Wie gut dieser Name für sie paßte. Noch schöner als sonst erschien sie ihm im Vergleich zu den übrigen jungen Mädchen, deren Haut Sonne und Feldarbeit tief gebräunt hatten. Ihr zarter, rosiger Teint, ihre schlanke Figur und die feinen Hände erweckten den Eindruck, als ob sie von einer fremden Rasse stammte. Was hätte nicht aus ihr werden können, wenn sie in einem anderen Milieu geboren wäre! Aber ach, nach ihrer Heirat würde sie auch auf den Feldern arbeiten und allmählich so aussehen, wie die anderen Bäuerinnen, müde und verbraucht, das Gesicht voller Runzeln.
    Von diesen Gedanken wurde er plötzlich abgelenkt. Etwas Ungewöhnliches schien sich zu ereignen. Flöte, Tamburin und Kastagnetten ertönten weiter. Auch die Paare setzten ihren Tanz fort, aber in allen Augen las man eine geheime Unruhe. Die Bauern hielten inne in ihrer Unterhaltung und schauten nach der Seite, wo die Frauen saßen. Das Kaplanchen rannte von einem Paare zum andern und flüsterte den Tänzern etwas ins Ohr, die sofort den Tanz abbrachen und verschwanden. Nach wenigen Sekunden kehrten siezurück und nahmen den Platz bei ihrer Atlòta, die sich mittlerweile weitergedreht hatte, wieder ein. Pep lächelte verständnisvoll. Er erriet, was vor sich ging, und flüsterte Jaime ins Ohr:
    »Nichts von Bedeutung. Das passiert jedesmal beim Tanz. Es ist Gefahr vorhanden, und die Atlòts bringen ihre Kleinigkeiten in Sicherheit.«
    Diese Kleinigkeiten enthüllten sich als Pistolen und Dolchmesser, die die jungen

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