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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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Frauen stellten ihre mit Seegras gepolsterten Schemel in die erste Reihe, um besser hören zu können, denn der Cantó wollte eine eigene Romanze vortragen. Langsam schlug er das Tamburin, um seinem träumerischen Gesang einen melancholischen Ernst zu geben.
    »Warum wollt ihr, daß ich singe, wenn mein Herz zerrissen ist?«
    Und schluchzend klagte seine weiche Stimme über ein Mädchen, das gefühllos blieb gegen seine Bitten. Er sang von ihrer Schönheit und ihrer rosigen Haut, durchsichtig wie die Blüte des Mandelbaumes.
    Bei dieser Anspielung wandten die Zuhörer sich nach Margalida um, die aber keine Spur von mädchenhafter Verwirrung zeigte. Sie war an derartige poetische Huldigungen gewöhnt.
    Jede Strophe beendete der Sänger mit einem langgezogenen Seufzer. Seine schmale Brust keuchte unter der Anstrengung, seine blassen Wangen bedeckten sich mit hektischer Röte, und am Halse traten die blauen Adern stark hervor.
    Für Febrer bedeutete es eine Qual, diese klagende Stimme anzuhören. Es schien ihm, als müßte die Brust des Sängers springen ...
    Aber die Bauern waren an diesen Gesang, der die letzte Kraft des Cantò verzehrte, gewöhnt, und ohne seine Erschöpfung zu beachten, forderten sie immer neue Strophen.
    Einige Atlòts hatten den Kreis der Zuhörer verlassen und sich abseits miteinander beraten. Jetztnäherten sie sich Pèp, dem Herrn von Can Mallorqui, den sie in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünschten. Hierbei drehten sie ihrem Freunde den Rücken, um anzudeuten, daß dieser arme, kranke Teufel nur dazu gut wäre, jungen Mädchen in Liedern zu huldigen. Der Keckste von ihnen ergriff das Wort:
    »Wir wollten mit Ihnen über Margalidas Festeig sprechen, Siño Pèp. Sie erinnern sich an Ihr Versprechen, daß er in diesem Jahre stattfinden sollte.«
    Der Bauer sah aufmerksam einen nach dem andern an, als wollte er sie zählen.
    »Wieviel seid ihr?«
    Der junge Bursche, der das Wort führte, lächelte:
    »Dieses Mal sehr viele. Wir sind auch beauftragt, im Namen der anderen zu sprechen.«
    »Seid ihr wohl zwanzig?« fragte Pèp.
    Die Atlòts antworteten nicht sofort. Sie murmelten leise die Namen ihrer abwesenden Freunde und zählten zusammen.
    Zwanzig? ... Viel mehr als das. Man mußte mindestens auf dreißig rechnen.
    »Dreißig! Glaubt ihr vielleicht, daß ich abends keine Ruhe notwendig habe? Oder bildet ihr euch ein, daß ich die ganze Nacht aufbleiben will, nur um zuzusehen, wie ihr meiner Tochter den Hof macht?«
    Bald aber legte sich seine scheinbare Entrüstung, und er beschäftigte sich angestrengt mit einer komplizierten Rechnung, manchmal mit nachdenklicher Miene die Zahl dreißig vor sich hin murmelnd.
    Dann fiel seine Entscheidung. Er erlaubte anderthalb Stunden. Da es sich um dreißig Atlòts handelte, kamen auf jeden drei Minuten; genau nach der Uhr drei Minuten, um mit Margalida zu sprechen, nichteine Sekunde mehr. Als Festeigabende bestimmte er den Donnerstag und Sonnabend jeder Woche. Er beendigte seine Worte mit einer Ermahnung:
    »Und gesittetes Benehmen! Ich dulde weder Zank noch Streit. Den ersten, der sich schlecht benimmt, jage ich mit einem Knüppel aus dem Hause, und wenn es notwendig sein sollte, habe ich auch eine Flinte.«
    Als die jungen Leute sich zurückzogen, um alle Einzelheiten zu besprechen, beendigte der Cantó seine endlose Romanze. Sofort holten die Mädchen Margalida in die Mitte und baten sie, eine Erwiderung auf seine Verse zu improvisieren. Aber Margalida wollte nicht, und ihre Weigerung war offensichtlich so ernst gemeint, daß die Mütter ihr zu Hilfe kamen.
    »Laßt die Atlòta in Ruhe. Margalida ist gekommen, um sich zu amüsieren, aber nicht für unser Vergnügen. Glaubt ihr vielleicht, es wäre so leicht, ohne weiteres in Versen zu antworten?«
    Der Tamburinschläger hatte sein Instrument vom Cantó zurückgeholt und begleitete die träumerische Weise einer afrikanischen Melodie, die der Flötenspieler angestimmt hatte. Der Tanz nahm seinen Fortgang.
    Die Sonne verschwand langsam am Horizont. Vom Meere kam eine erfrischende Brise, die jung und alt neu belebte. Die Atlòts, wieder im Besitze ihrer Mordwerkzeuge, fühlten durch den Kontakt mit diesen lieben Gefährten ihr Selbstbewußtsein gestärkt.
    Diese unwiderstehliche Anziehungskraft, die durch eine spontane Antipathie erzeugt wird, zwang Jaime, den Ferrer nicht aus den Augen zu lassen. An der Besprechung der Atlòts mit Pèp hatte der Vèrro nicht teilgenommen. Es war wohl unter

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