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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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sie ihm eine unüberwindliche Abneigung ein und er vermied nach Möglichkeit den Kontakt mit ihnen.
    Aber die Einsamkeit seines Turmes erweckte in ihm den Wunsch, Menschen zu sehen. Die Sonntage waren von einer unerträglichen Langeweile. Er konnte nicht zum Fischfang aufs Meer, da der alte Ventolera Messe singen mußte. Die Felder waren einsam und dieHäuser leer, denn die Familien gingen vormittags zur Messe und nachmittags zum Tanz. So hatte er die Gewohnheit angenommen, Sonntags die Kirche aufzusuchen.
    Mit neugierigem Blick und flüchtigem Gruß kamen die Nachzügler an Febrer vorbei. Jedermann im Kirchspiel kannte ihn. Wenn die Bauern ihn vor ihrem Hause trafen, öffneten sie bereitwillig die Tür. Aber weiter ging ihre Umgänglichkeit nicht. Sie konnten sich nicht überwinden, sich ihm von selbst freundlich zu nähern. Er war ein Fremder und, schlimmer als das, von Mallorca. Dieser große Herr mit adligem Namen flößte den einfachen Landleuten eine Art geheimnisvollen Mißtrauens ein. Sie fanden keine Erklärung dafür, daß es diesem Städter beliebte, auf dem einsamen Turme zu hausen.
    Febrer war allein unter den kühlen Arkaden. Er hörte das Messeglöckchen, das Geräusch beim Aufstehen und Niederknien und die dünne blecherne Stimme des alten Ventolera, der die lateinischen Antworten sang. Um sich die Zeit zu vertreiben, rauchte er Zigaretten und beobachtete die Tauben, die sich leise gurrend auf den Arkaden schnäbelten. Eine ganze Reihe von Zigarettenstummeln lag schon zu seinen Füßen, als aus der Kirche ein langes Gemurmel drang, das den Schluß der Messe ankündigte. Er hörte das Rücken von Betstühlen, das Schlürfen von Schritten und unterdrückte Stimmen, die sich begrüßten. In der geöffneten Tür drängte sich die Menge, jeder bestrebt, möglichst schnell herauszukommen.
    Zuletzt erschienen die Frauen, die älteren in schwarzen Gewändern, die jüngeren in bunten Kleidernmit einem großen Kruzifix auf der Brust. Die Männer blieben vor der Tür einen Augenblick stehen, um das Tuch, das sie unter dem Hute trugen, ein Überbleibsel des arabischen Haïk, wieder auf den geschorenen Kopf zu legen.
    Die Alten zogen eine selbstgemachte Pfeife aus ihrer Tasche und füllten sie mit Pòta, einem scharfriechenden Tabak, der auf der Insel angebaut wurde. In stolzer Haltung, die Hände im Gürtel, gingen die jungen Burschen vor den Frauen und Mädchen auf und ab, die vollkommene Gleichgültigkeit zur Schau trugen, die Atlòts aber scharf aus den Augenwinkeln beobachteten.
    Allmählich zerstreute sich die Menge. Nur eine Gruppe von Nachzüglern in der vorgeschriebenen Trauerkleidung kam noch aus der Kirche. Die Frauen, deren Gesichter unter der schwarzen Mantilla verschwanden, waren eingehüllt in den Abrigais, den dicken, wollenen Winterschal, ein unerläßliches Requisit bei feierlichen Gelegenheiten. Aber an diesem schwülen Sommertage verursachte schon sein Anblick ein Gefühl des Erstickens. Die Männer trugen einen braunen Burnus von schwerer, grober Wolle mit bis ans Kinn zugeknöpfter Kapuze.
    Es waren die Verwandten eines in der vergangenen Woche verstorbenen Bauern, die sich heute vereinigt hatten, um nach der Landessitte eine Totenmesse zu hören. Sie weinten, schwitzten und stießen tiefe Seufzer aus, teils, weil sie ihren Gefühlen der Trauer Ausdruck geben wollten, teils, weil sie in der schweren, wollenen Kleidung vor Hitze beinahe umkamen, bis Pèp, der als entfernter Verwandter nur mit einem schwarzen Umhang erschienen war, ihnen zurief:
    »Jetzt ist es genug. Jeder nach seinem Hause, um noch viele Jahre zu leben. Den Toten wollen wir dem Herrn empfehlen.«
    Péps Familie kam nun, um Febrer zu begrüßen, der sie nach Can Mallorqui begleitete. Pepet marschierte voran, im Takt zu seiner Flöte, die er bisweilen absetzte, um Steine nach den Vögeln zu werfen. Margalida ging verträumt neben ihrer Mutter. Es schien, als wäre sie sich nicht bewußt, daß Don Jaime in kurzem Abstände folgte. Auch Pèp war tief in Gedanken versunken, die durch den Tod eines Verwandten geweckt waren. So wurde der Weg in Stillschweigen zurückgelegt.
    Febrer aß in Can Mallorqui, um den Kindern die Mühe zu ersparen, sein Essen zum Turme zu bringen. Man setzte sich um einen niedrigen Tisch vor eine große, mit Reis gefüllte Kasserole, und bald war eine Unterhaltung im Gange. Das Kaplanchen vergaß vollkommen seine geistliche Bestimmung und sprach nur von dem großen Tanz am Nachmittag, was ihm ernste Rügen

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