Die Toten befehlen
seiner Würde, sichmit kleinlichen Einzelheiten zu befassen. Jetzt hielt er seine harten Augen starr auf Margalida gerichtet, als wollte er sie faszinieren. Wenn das Kaplanchen in seine Nähe kam, gönnte er ihm ein Lächeln, da er in Pepet schon den künftigen Schwager sah.
Dieselben Burschen, die vorher mit Pep verhandelt hatten, schienen durch die drohenden Blicke des Ferrer eingeschüchtert zu werden. Alle jungen Mädchen wurden zum Tanze geführt, nur Margalida blieb neben ihrer Mutter sitzen. Die Atlòts warfen ihr sehnsüchtige Blicke zu, aber keiner wagte es, sie aufzufordern.
In Jaime wurde die Händelsucht seiner Jugend wieder lebendig. Er haßte den Vèrro. Die Furcht, die dieser Bursche allen einflößte, empfand Febrer wie eine ihm persönlich zugefügte Beleidigung. Gab es denn niemanden, der diesem Großtuer ein paar Ohrfeigen verabreichte?
Ein Atlòt nahm endlich Margalida bei der Hand. Es war der Cantó.
Armer Junge! Jaime erriet die Willenskraft, die dieser kranke, schwache Körper aufbringen mußte, um die gewaltige Anstrengung auszuhalten. Schon nach wenigen Minuten ging es mit seinen Kräften zu Ende. Trotzdem lächelte der Cantó stolz und schaute Margalida verliebt an.
Aber seine Erschöpfung nahm sichtlich zu. Bei einer Drehung wäre er beinahe gefallen. Er wurde vom Schwindel erfaßt und schloß die Augen.
In diesem Augenblick stürzte der Ferrer vor und berührte den Arm des Tänzers als Zeichen, ihm seine Partnerin zu überlassen.
Der Tanz des Vèrro wurde mit einem Murmeln der Bewunderung begrüßt. Durch den Applaus angefeuert,verdoppelte er seine Anstrengungen. Unaufhörlich verfolgte er seine Partnerin, trat ihr immer wieder entgegen und umspann sie mit einem verwickelten Netz schwieriger Bewegungen, während Margalida sich mit niedergeschlagenen Augen drehte, um den harten Blick dieses gefährlichen Verehrers zu vermeiden.
Manchmal sprang der Ferrer, den Kopf nach rückwärts gelegt und die Hände im Nacken verschlungen, hoch in die Luft, als ob der Boden elastisch wäre und seine Beine stählerne Federn besäßen.
Die Zeit verging, doch dieser Mann schien keine Ermüdung zu kennen. Einige Paare hatten längst aufgehört, bei andern war wiederholt ein neuer Tänzer eingetreten, doch der Ferrer setzte seinen wilden Tanz weiter fort.
Selbst Jaime mußte mit einem gewissen Neid die ungewöhnliche Kraft und Ausdauer dieses gewalttätigen Menschen bewundern.
Plötzlich sah er, wie der Vèrro im Gürtel suchte und dann eine Hand zur Erde streckte, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde in seinen Sprüngen und Drehungen innezuhalten.
Auf dem Boden breitete sich eine weiße Rauchwolke aus, in der es zweimal kurz aufblitzte. Dann ertönte ein doppelter Knall.
Die Frauen drängten sich ängstlich zusammen. Einen Augenblick waren auch die Männer verdutzt und ungewiß. Dann aber brachen sie in begeisterte Beifallsrufe aus.
»Bravo! Bravo!«
Der Ferrer hatte vor den Füßen seiner Tänzerin die Pistole abgefeuert. Die höchste Huldigung eines tapferen Mannes!
Und Margalida, die, als gute Tochter von Ibiza an Schüsse gewöhnt, ruhig weitertanzte, warf dem Ferrer einen Blick zu, voll von Anerkennung über seine Verwegenheit. In der Tat waren die Behörden von ihm in unerhörter Weise herausgefordert worden, denn die Gendarmen konnten sehr wohl noch in Hörweite sein.
Nur auf Jaime machte die galante Huldigung keinen Eindruck.
»Verfluchter Sträfling«, knirschte er.
Über den Grund seiner Wut war er sich nicht ganz klar. Aber etwas empfand er als unvermeidbar: mit diesem Banditen würde er demnächst abrechnen.
IV.
Der Winter nahte. An manchen Tagen stürmte das Meer wild gegen die kleinen Inseln und Riffe, die zwischen Ibiza und Formentera eine beinahe ununterbrochene Felsenkette bildeten. Nur wenige Kanäle führten hindurch, so eng und gewunden, daß ihr Passieren bei schwerer See gefährlich, wenn nicht unmöglich war. Überall tosende Wirbel, schaumgekrönte Klippen, die von der nächsten Woge begraben wurden, und eine wütende Brandung, deren Gischt das Gestade der Inseln weithin übersprühte.
Fast immer war der Himmel bedeckt und das Meer aschgrau. Noch höher reckte der Vedrá seine scharfe Spitze in die düsteren, sturmzerrissenen Wolken. Brüllend stürzten die tobenden Fluten in seine unterirdischen Grotten. Die wilden Ziegen, die während des Sommers mutwillig auf den Höhen herumgesprungen waren, meckerten angsterfüllt und flüchteten in die Berghöhlen,
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