Die Toten befehlen
lächelten mit boshafter Miene, als freuten sie sich schon im voraus auf etwas Ungewöhnliches. Andere zeigten den mißbilligenden Ausdruck anständiger Menschen, die einem schlechten Streich beiwohnen müssen, den sie nicht verhindern können. Der Ferrer duckte sich in der entferntesten Ecke, wahrscheinlich, um möglichst unbemerkt bleiben zu wollen.
Sobald der Cantó anfing, das Tamburin zu schlagen, wurde es still, denn er hatte für den heutigen Abend ein neues Lied zu Ehren Margalidas angekündigt. Er schien auch besser bei Kräften zu sein als sonst, und seine Augen blickten lebhaft umher.
Schon bei den ersten Versen ertönte ein lautes Lachen, mit denen die Atlòts der geistreichen Ironie ihres Dichters Beifall zollten.
Febrer verstand nicht viel von dem Vortrage. Wenn er diese wilden Melodien anhören mußte, die an die naiven Weisen der ersten semitischen Seefahrer im Mittelmeer erinnerten, zog er es vor, sich seinen Gedanken zu überlassen, um geduldiger den Schluß dieser endlosen Romanzen abwarten zu können.
Aber das immer erneute, dröhnende Gelächter der Atlòts ließ ihn schließlich aufmerken. Er hatte ein unbestimmtes Gefühl, daß etwas gegen ihn vorginge. Was sagte nur dieses rabiate Schaf?
Es wurde Jaime nicht leicht, den Sinn der im Dialekt vorgetragenen Verse zu erfassen. Aber allmählich begriff er, daß die Romanze an die Atlòtas gerichtet war, die große Herren aus der Stadt heirateten, um sich wie Damen kleiden und städtischen Prunk entfalten zu können. Der Sänger verspottete die Moden, die er mit übertriebenen Ausdrücken geißelte, und erntete reichen Beifall bei seinen Zuhörern. Sogar der ehrliche Pèp lachte über diese Sticheleien, die seinem Bauernstolz schmeichelten.
Aber allmählich sang der Cantó nicht mehr von den Atlòtas im allgemeinen, sondern nur von einer einzigen, ehrgeizig und ohne Herz. Margalida saß unbeweglich mit gesenkten Augen und blassen Wangen, sichtlich erschreckt, weniger über den Vortrag, als durch den Gedanken an die wahrscheinlichen Folgen.
Jaime begann sich auf seinem Stuhl unruhig hin und her zu drehen. Es war doch unerhört von diesem Bauernlümmel, Margalida in seiner Gegenwart so zu belästigen! ... Ein noch stärkeres, noch unverschämteresGelächter ließ ihn von neuem angestrengt aufhorchen. Der Cantó machte sich über die Atlòta lustig, die, um eine Señora zu werden, einen ruinierten Bettler ohne Haus und Familie heiraten wollte, einen Fremden, der nicht einmal Felder zu bebauen hatte.
Die Wirkung dieser Verse trat im gleichen Moment ein. So schwerfällig auch die Intelligenz Pèps war, begriff er jetzt endlich, worum es sich handelte. Er hob gebieterisch den Arm und rief:
»Genug, genug!«
Aber sein Einschreiten kam zu spät. Wie ein Blitz stürzte Febrer vor, entriß dem Cantó das Tamburin und schlug es ihm mit solcher Wucht auf den Kopf, daß die Felle platzten und der geschnitzte Holzreifen wie eine zerrissene Mütze tief auf der blutenden Stirn saß.
Sofort sprangen die Atlòts auf und fuhren mit der Hand in ihren Gürtel, noch unschlüssig, was sie tun sollten. Margalida flüchtete sich weinend an die Seite ihrer Mutter, und das Kaplanchen erachtete den Moment für gekommen, sein Messer zu ziehen. Doch der Vater brachte die Autorität, die ihm sein Alter verlieh, zur Geltung.
»Hinaus! ... sofort hinaus!« rief er.
Alle gehorchten; auch Febrer ging, trotz Pèps lebhaften Widerspruchs.
Die Atlòts, die draußen erregt diskutierten, schienen verschiedener Ansicht zu sein. Einige protestierten heftig gegen Febrers Vorgehen. Andere aber schüttelten den Kopf; sie waren darauf gefaßt gewesen. Man kann einen Mann nicht ungestraft beleidigen. Deshalb hatten sie auch vorher gewarnt, dieses Spottliedvorzutragen. Männer, die sich etwas zu sagen haben, sollen es unter vier Augen abmachen.
Beinahe wäre der Streit in Tätlichkeiten ausgeartet, wenn nicht der Cantó die Aufmerksamkeit abgelenkt hätte. Es war ihm mittlerweile gelungen, seinen Kopf von der Klammer des Tamburinreifens zu befreien. Er wischte das Blut von seiner Stirn ab und weinte dabei mit der Wut der Schwächlinge, die von der schlimmsten Rache träumen, sich dabei aber ihrer Ohnmacht bewußt sind.
»Mir das anzutun! Mir!« jammerte er, vollkommen fassungslos über diese gänzlich unerwartete Züchtigung.
Plötzlich bückte er sich und suchte in der Dunkelheit Steine, die er gegen Febrer schleuderte, wich aber nach jedem Wurf einige Schritt zurück aus Angst
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