Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
Vom Netzwerk:
kenne das Verfahren«, sagte der Kleine mit der Sicherheit eines alten Verro. »Im Gebüsch verborgen und mit gespanntem Hahn wird er Sie herausfordern. Sobald Sie sich zeigen, haben Sie eine Kugel im Kopf, ehe es Ihnen überhaupt möglich ist, ihn zu entdecken. Bleiben Sie also still im Turm. Dieser Rat ist für die Nacht. Bei Tage können Sie ohne Furcht ausgehen. Übrigens bin ich ja da, um Sie überallhin zu begleiten.«
    Bei den letzten Worten nahm er eine kriegerische Haltung an und fuhr mit einer Hand in die Schärpe, um sich zu vergewissern, daß sein Dolchmesser auch nicht verschwunden war. Aber die spöttische Miene Febrers enttäuschte ihn tief.
    »Lachen Sie nur, Don Jaime, spotten Sie über mich! Aber Sie werden bald sehen, daß ich doch zu etwas gut bin. Habe ich Sie nicht auf die Gefahr aufmerksam gemacht? Sie müssen auf der Hut sein. Der Ferrer hat nicht umsonst diese Sache mit dem Lied vorbereitet.«
    Und wie ein Häuptling, der eine lange Belagerung erwartet, schaute er sich im Turme um. Seine Augen hefteten sich auf die Flinte, die zwischen den Muschelfächern an der Wand hing.
    »Ausgezeichnet! Man muß beide Läufe mit Kugeln laden und obendrauf noch eine gute Hand voll grobes Schrot pfropfen. Das ist niemals zuviel. So machte es auch mein Großvater.«
    Doch er runzelte die Stirn, als er den auf dem Tisch liegenden Revolver erblickte.
    »Sehr unklug von Ihnen, Don Jaime. Kurze Waffen soll man stets bei sich tragen. Ich schlafe sogar mit dem Dolchmesser auf dem Bauch. Wenn nun jemand unversehens einträte und Ihnen keine Zeit mehr ließe, den Revolver zu ergreifen? ...«
    Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Turm selbst. Vorsichtig ging er an der Wand entlang bis zur Tür, öffnete sie, wobei er den Körper dicht an die Mauer drückte, als ob ihn ein Feind am Fuß der Treppe erwartete, und spähte mit einem Auge über den Rand des Pfostens hinaus. Aber enttäuscht trat er wieder zurück.
    »Sogar mit diesen Vorsichtsmaßregeln wird man immer von draußen gesehen werden. Der andere kann mit aufgelegtem Lauf in aller Bequemlichkeit zielen. Die Treppe hinuntergehen wäre noch schlimmer. Die Nacht mag noch so dunkel sein, der Feind kann immer in der Richtung der Treppe einen Fleck im Laubwerk, einen Stern oder sonst irgendeinen helleren Punkt visieren. Sobald dieser durch die Figur des Herabsteigenden verdunkelt wird – Feuer! Und sicherer Treffer!
    Diese Lehren habe ich von ernsten Männern gehört,die monatelang, von Sonnenaufgang bis zur Morgenröte, hinter einem Felsen oder einem Stamm lagen und mit dem Kolben an der Backe und dem Auge am Visier einem Feinde auflauerten.«
    Nein, diese Tür mit ihrer Treppe in der freien Luft gefiel Pepet durchaus nicht. Man mußte unbedingt einen anderen Ausgang haben. Er ging zum Fenster, öffnete es, sprang auf die Brüstung und verschwand. Mit affenartiger Geschicklichkeit kletterte er die Mauer hinab, wobei er die durch herausgefallene Steine entstandenen Löcher als Stufen benutzte. Febrer, der ihm nachgeeilt war und sich zum Fenster hinausbeugte, sah ihn schon am Fuß des Turmes triumphierend seinen Hut schwenken.
    »Nichts leichter als das«, rief er. »Diese Treppe können sogar Damen benutzen.«
    Und von der Wichtigkeit seiner Entdeckung überzeugt, fuhr er mit ernster Miene fort:
    »Don Jaime, das Geheimnis von diesem wunderbaren Ausgang muß ganz unter uns bleiben. Nicht ein Wort darüber, zu wem es auch sei.«
    Das Kaplanchen beneidete Don Jaime. Wenn er doch an seiner Stelle wäre! Dann würde er, während der Feind seine ganze Aufmerksamkeit auf die Treppe richtete, in aller Ruhe durch das Fenster herabsteigen, geräuschlos um den Turm herumschleichen und den nichtsahnenden Banditen erledigen. Ein Meisterstück!
    Der Junge lachte bei diesem Gedanken, und in seinem Gesicht spiegelte sich etwas von der Wildheit seiner Vorfahren, denen die Jagd auf Menschen als edelstes Weidwerk gegolten hatte.
    Febrer wurde von Pepets Freude angesteckt. Ob er auch einmal den Versuch machte? Er streckte dieBeine aus dem Fenster, hielt sich an der Brüstung fest und tastete mit den Füßen nach den Löchern in der Mauer. Langsam kletterte er hinunter und landete endlich mit einem Seufzer der Befriedigung auf dem Boden.
    Vortrefflich! Der Abstieg war bequem. Noch ein wenig Übung, und er würde ihn mit derselben Leichtigkeit ausführen wie Pepet, der ihn jetzt erfreut ansah wie ein Lehrer, der mit den Leistungen seines Schülers zufrieden ist.
    Um die

Weitere Kostenlose Bücher