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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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vor einem neuen Angriff. Doch seine Arme waren zu schwach, und die Steine fielen, ohne Febrer zu erreichen, auf den Boden. Einige Freunde ergriffen den Sänger am Arm und führten ihn fort. Solange er noch in Rufweite war, hörte man ihn wüste Drohungen ausstoßen und einen wilden Schwur, den verfluchten Fremden zu töten.
    Febrer stand die ganze Zeit unbeweglich mit einer Hand im Gürtel zwischen seinen Feinden. Er schämte sich, daß sein Temperament mit ihm durchgegangen war. Um seine Gewissensbisse zu betäuben, stieß er mit halblauter Stimme Herausforderungen aus.
    »Ich wollte nur, ein anderer hätte an Stelle des Cantó gesungen!«
    Und seine Augen suchten den Ferrer. Aber der gefährliche Vèrro war verschwunden.
    Erst viel später, als sich der ganze Lärm gelegthatte, schlug Jaime den Weg zum Turme ein. Unterwegs machte er einige Male halt.
    Niemand folgte ihm!

II.
    Schon bei Sonnenaufgang stellte sich Pepet am nächsten Tage ein. An seinem Gesichtsausdruck erkannte Febrer, daß er mit großen Neuigkeiten kam.
    Die Nacht war in Can Mallorqui schlimm verlaufen. Margalida hatte rotgeweinte Augen, und die Mutter jammerte unaufhörlich über die schrecklichen Vorgänge. Was würden nur die Nachbarn von ihnen denken, wenn sie hörten, daß in ihrem Hause Schlägereien stattfanden wie in einer Schenke! Was würden die Atlòtas von ihrer Tochter sagen! Doch die Meinung ihrer Freundinnen schien Margalida wenig zu kümmern. Tief in Gedanken versunken, saß sie teilnahmlos da, antwortete auf keine Frage, sondern weinte nur still vor sich hin. Der Vater hatte die Tür sorgfältig verschlossen und war dann noch länger als eine Stunde, fluchend und mit geballten Händen, in der Küche auf und ab gegangen.
    »Dieser Don Jaime! ... Das Unmögliche zu wollen! ... Starrköpfig wie alle Febrer! ...«
    Auch Pepet hatte wenig geschlafen, denn in dem verschlagenen, argwöhnischen Kleinen stieg ein Verdacht auf, der mehr und mehr zur Gewißheit wurde.
    »Don Jaime, wer ist nach Ihrer Meinung der Urheber dieses beleidigenden Liedes? Der Cantó, nicht wahr? ... Nein, Herr. Aber der Ferrer. Die Verse sind von dem andern, jedoch die Idee stammt von dem heimtückischen Vèrro. Er hat dem Cantó den Gedanken eingeflößt, Sie öffentlich beim Festeig zu beschimpfen,weil er damit rechnete, daß Sie die Beleidigung nicht stillschweigend einstecken würden. Jetzt erkenne ich auch den Grund für ihre heimliche Zusammenkunft, bei der ich sie vorgestern im Walde überraschte.«
    Febrer nahm diese Neuigkeit, der das Kaplanchen so große Wichtigkeit beilegte, gleichgültig auf.
    »Was ist weiter dabei? Den frechen Sänger habe ich gezüchtigt. Und was den Ferrer anbelangt, so war er sofort verschwunden, als ich ihn draußen vor dem Hause suchte. Dieser schreckliche Vèrro, lieber Pepet, ist weiter nichts als ein Feigling.«
    Der Junge schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Don Jaime, Sie kennen noch nicht die Verschlagenheit, die man auf Ibiza anwendet, um seine Rache ungestraft ausüben zu können. Mehr als je müssen Sie jetzt auf der Hut sein. Der Ferrer weiß, was Gefängnis bedeutet, und hat sicher keine Lust, noch einmal eingesperrt zu werden. Was er jetzt tut, zeugt nur von seiner Gerissenheit. Andere Vèrros haben es vor ihm ebenso gemacht.«
    Jaime wurde ungeduldig über die geheimnisvolle Miene und die konfusen Worte des Jungen.
    »Sprich deutlich, wenn ich dich verstehen soll!«
    Auf diese energische Aufforderung hin setzte das Kaplanchen endlich seine Verdachtsgründe klar auseinander.
    »Es steht dem Ferrer jetzt frei, gegen Sie zu unternehmen, was er will, Don Jaime. In dem Gebüsch am Fuß des Turmes versteckt, kann er auf die Gelegenheit warten, Sie durch einen Schuß zu töten. Der Verdacht wird sich sofort gegen den Cantó richten, denn jedermann weiß, was bei uns gestern abend vorgekommenist und alle haben seinen Racheschwur gehört. Wenn der Vèrro so schnell wie möglich den Tatort verläßt und sich anderswo sehen läßt, hat er ein Alibi. Sie sehen, wie leicht er sich jetzt an Ihnen rächen kann, ohne Folgen für sich befürchten zu müssen.«
    Ein Ausruf der Überraschung entfuhr Febrer, der nun den Sinn von Pepets Worten erfaßt hatte.
    Stolz auf seinen eben bewiesenen Scharfsinn fuhr der Junge fort, ihm Ratschläge zu geben.
    »Sie dürfen nicht mehr so sorglos leben wie bisher. Vor allem müssen Sie abends die Tür schließen. Auch wenn man Sie während der Nacht ruft, verlassen Sie auf keinen Fall den Turm. Ich

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