Die Toten der Villa Triste
Haar, weil sie nicht aussprechen wollte, was wir beide dachten, »… oder jemand hat uns verraten. Es hat sich niemand verplappert. Sondern es hat sich jemand heimlich zu Carita gestohlen.«
Issa sah mich an. »Es kursieren alle möglichen Gerüchte. Von Verhaftungen. Aber niemand weiß etwas Genaues. Falls die GAP herausfinden, wer das war – nun ja.« Sie atmete tief aus. »Dann werden sie dafür sorgen, dass das kein zweites Mal geschieht. Aber das ändert jetzt auch nichts mehr. Die Waffen sind weg. Wir haben sie verloren.« Sie sah mich an. »Die Amerikaner sind außer sich vor Wut. Sie werden uns kein zweites Mal vertrauen. Sie könnten ihre Waffen gleich an die Deutschen ausliefern.«
»Wie schlimm ist es?«
Ich verstand nichts von Granaten oder Munition oder Sprengstoff. Ich hatte noch nie eine Waffe in der Hand gehalten. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht, woher solche Waffen wie die Pistole, die Il Corvo trug, stammten.
»Sie werden nichts mehr abwerfen«, sagte Issa. »Wir müssen selber Waffen stehlen oder rauben.« Sie zuckte mit den Achseln. »Aber der Verlust ist nicht wiedergutzumachen. Also müssen wir, wenn der glorreiche Tag kommt, mit gefesselten Händen kämpfen.«
Sie sah mich an, als sie das sagte, und zum ersten Mal entdeckte ich etwas in ihrem Gesicht, das ich bis dahin noch nie gesehen hatte. Es verschwand so schnell wie ein Windstoß über dem Wasser. Aber für einen Moment blitzte es so hell auf, es stand so hart und klar in ihren Augen, dass ich meinte, der Boden würde mir unter den Füßen weggezogen. Sie hatte Angst.
16. Kapitel
»Glauben Sie ihr?«
»Signora Grandolo? Selbstverständlich.«
Enzo Saenz sagte nichts, aber seine Miene verriet, dass ihn das überraschte. Als hätte er, nachdem er von Eleanor Sachs’ Überfall auf Pallioti gehört hatte, angenommen, dass sein Chef nie wieder ein Wort von dem glauben würde, was eine Frau von sich gab.
Pallioti sah auf. Sie standen sich an dem Tisch gegenüber, auf dem all das ausgebreitet lag, was sie bis jetzt von Roberto Roblinos Leben wussten. Er griff nach einem Foto des alten Mannes und legte es wieder weg. Die Vorstellung, dass ihn Signora Grandolo angelogen haben könnte, war lächerlich.
»Natürlich«, meinte er fast ein bisschen schnippisch, »können Sie ihre Angaben überprüfen lassen, wenn Ihre Leute zu viel Zeit haben. Ich glaube, das dürfte nicht allzu schwer sein.«
Enzos Achselzucken ließ offen, ob er das tun würde oder nicht.
»Also.« Enzo griff nach Roberto Roblinos Obduktionsbericht und blätterte darin herum. »Wenn das Salz dazu passt …«
Pallioti nahm an, dass das lustig sein sollte, aber er hatte keine Ahnung, warum.
Enzo sah ihn an und führte seine Theorie aus.
»Die meisten dieser Neonazis, Neofaschisten – wie man sie auch nennen will – finden, dass man den Tag der Befreiung nicht feiern sollte. Sie betrachten ihn als Verrat. Am wahren Italien.«
»Folglich ist jeder, der damals für die Befreiung kämpfte, ein Verräter?«
Enzo lächelte. »Genau.« Er legte den Bericht wieder zurück. »Wenigstens würde ich das so verstehen. Verräter werden hingerichtet und bekommen den Mund mit Salz vollgestopft, weil jeder Verrat mit Salz bezahlt wurde, falls Signora Grandolo recht hat – wovon ich ausgehe«, ergänzte er diplomatisch. »Das hätte eine gewisse verdrehte Logik. So wie«, ergänzte er, »die meisten ihrer Gedankenprozesse. Wenigstens soweit ich sie kenne. Schließlich reden wir hier über Menschen, die eine Reise ins Konzentrationslager Dachau für einen gelungenen Sonntagsausflug halten.«
Pallioti seufzte. An manchen Tagen setzte ihn die Macht des Bösen immer noch in Erstaunen.
»Und was ist mit den anderen?«, fragte er.
Enzos ungewöhnlich beschwingte Laune war darauf zurückzuführen, dass sein Team seit heute Morgen sieben weitere Partisanen ausfindig gemacht hatte, die zum sechzigsten Jahrestag einen Orden verliehen bekommen hatten und denen daraufhin Briefe wie jener an Roberto Roblino zugeschickt worden waren.
»Und alle sind gesund und munter.«
»Das ist ein Plus.«
»Vor allem für sie.« Enzo sah auf. »Ich habe mich mit den jeweiligen Kollegen vor Ort in Verbindung gesetzt und sie eindringlich gebeten, alle Ex-Partisanen in ihrer Gegend genau im Auge zu behalten sowie alle Drohbriefe, die sie bekommen könnten, ernst zu nehmen. Wir haben diesen Rat landesweit erteilt. Und ihn übrigens auch an andere europäische
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