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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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befestigt. Ich sagte mir, dass er dort, woher er diese Flasche hatte, noch mehr finden würde.
    Trotz alledem war der Branntwein billig und schlecht. Ich kletterte wieder vom Stuhl, wir setzten uns nebeneinander aufs Bett, ließen die Flasche hin- und herwandern und tranken das Gesöff wie Hustensaft.
    »Issa«, sagte ich schließlich, »warum redest du über solche Sachen?«
    Sie saß so dicht neben mir, dass ich ihre Schulter an meiner spürte. Und den Alkohol in ihrem Atem roch, als sie antwortete.
    »Du darfst niemandem davon erzählen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Dann erinnerte ich mich an unsere Kindertage und hob die Hand.
    »Ich schwöre es.«
    Issa lächelte. Sie hob ebenfalls die Hand und presste ihren Daumen gegen meinen.
    »Weißt du noch?«, fragte ich. »Wie wir Emmelinas Nähkasten geplündert, ihr zwei Nadeln gestohlen und uns heimlich in den Daumen gepikt haben? Um Blutsbrüderschaft zu schließen?«
    Issa nickte. »Blutsschwestern«, sagte sie. Dann verriet sie es mir.
    Dank uns oder eher dank JULIA gab es in der Nacht nach dem vierzehnten Februar einen Abwurf. Den ersten über der Toskana. Bis dahin hatten sie uns nicht getraut, hatten sie uns für nicht wichtig genug gehalten. Aber jetzt, kurz vor Frühlingsanbruch und seit JULIAS Ankunft, hat sich alles geändert.
    Der Abwurf fand in den frühen Morgenstunden statt, wahrscheinlich zu der Zeit, als Issas Hände zu ihren Morphinträumen tanzten. Er erfolgte in der Nähe von Greve, und um ein Haar wäre er misslungen. Es waren insgesamt neunzehn Fallschirme. Die Partisanen sahen sie herabsegeln, aber der Schnee war so tief, dass die Behälter darin versanken und man sie im Dunkel nicht mehr erkennen konnte. Sie hatten schon befürchtet, sie hätten alles verloren. Aber die GAP hatten eine ganze Suchmannschaft aufgeboten, mehrere Trupps, die dann ausgeschwärmt waren. Die alle Behälter aus dem Schnee gegraben hatten. Jeden einzelnen. Insgesamt sechsunddreißig Stück. Einundfünfzig Maschinenpistolen, außerdem Munition, Granaten, Brandbomben und Sprengstoff. Alles für die Befreiung, die, trotz des Stellungskriegs bei Cassino und Anzio, jeder für den Frühling erwartet. Die Deutschen können nicht ewig standhalten. Wenn die Alliierten endlich den Durchbruch schaffen und Rom fällt, wird Kesselring den Rückzug antreten müssen. Alle glauben, dass er sich dann in die Berge zurückziehen wird zu den Befestigungen, die sie »Gotenlinie« nennen und deren Bau Issa beobachtet hat. Sie glauben auch, dass die Deutschen bei ihrem Abzug die Stadt zerstören werden. Diese Lektion hat uns Neapel gelehrt. Aber uns, hat Issa beteuert, wird das nicht passieren, weil wir vorbereitet sind. Wir werden die Deutschen aus der Stadt treiben, bevor sie alles zerstören können. Genau dafür waren die abgeworfenen Waffen gedacht.
    »Wie durch ein Wunder«, erzählte Issa, »haben sie die Waffen in die Stadt schaffen können. Im Lauf von drei Tagen haben sie alles in eine Wohnung in einem sicheren Haus beim Palazzo Pitti geschafft. Von dort aus sollte alles verteilt werden.«
    »Sollte?«
    Ich sah sie an. Die Lampe in meiner Kammer gibt nur wenig Licht, und unter den hohen Wänden und tiefen Schatten und mit ihrem neuen kurzen Haar sah sie gleichzeitig vertraut und fremd aus, so wie eine halb vergessene Verwandte. Nur ihre Stimme und ihre Augen hatten sich nicht verändert.
    »Eigentlich sollte alles gestern Abend weggebracht werden«, sagte sie. »Aber gestern Nachmittag tauchte Carita auf.«
    Ich merkte, wie mein Mund trocken wurde. Jetzt begriff ich, warum sie vorhin vom Verschwinden geredet hatte.
    »Aber …«, murmelte ich. Ich konnte es einfach nicht aussprechen.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Unsere Gruppe hatte nichts damit zu tun«, sagte sie. »Trotzdem muss Carita irgendwie davon erfahren haben. Das war kein Glück.« Sie sah mich an. »Wenn sie heute gekommen wären, hätten sie nichts mehr gefunden.«
    »Und sie haben alles mitgenommen?«
    Sie nickte.
    »Alles. Und noch mehr. Dort wurde noch mehr aufbewahrt. Eine Druckerpresse. Vorräte.« Sie stand auf und verzog unter Schmerzen das Gesicht. »Zu viele«, sagte sie, »zu viele wussten Bescheid.«
    »Habt ihr eine Ahnung, wer es war? Wer …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Woher sollen wir das wissen? Wir alle wussten, dass das irgendwann passieren konnte. Wir wollten es nur nicht wahrhaben. Jemand hat versehentlich etwas ausgeplaudert. Einen Fehler gemacht. Oder …«, sie fuhr sich mit der Hand durchs

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