Die Toten der Villa Triste
war bezeichnend für diese Männer. Sie blieben in jeder Situation höflich.
Pallioti blieb in der Mitte der höhlenartigen Eingangshalle stehen. Hätte die Lampe auf dem Tisch unter den Briefkästen nicht gebrannt und hätte Marta Buonifaccio nicht leise gehustet, hätte er sie wahrscheinlich gar nicht bemerkt.
Sie stand genau dort, wo sie auch beim ersten Mal gestanden hatte, an der Wand gegenüber dem toten Kamin. Einen Moment lang hatte Pallioti das Gefühl, dass sie das Kinderspiel der lebenden Statuen spielte. Als hätte sie sich möglicherweise nicht vom Fleck bewegt, seit Giovanni Trantemento gestorben war. Fest und kompakt, wie sie aussah, erinnerte sie ihn immer wieder an eine russische Puppe, so als hätte man mehrere Menschen in ihren Körper gestopft. Das Kopftuch hatte sie diesmal allerdings abgelegt. Drahtige graue Strähnen umrahmten ihr rundes Gesicht.
»Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie an einem Sonntagnachmittag belästige«, sagte Pallioti noch einmal und trat näher. »Aber dürfte ich Ihre Zeit kurz in Anspruch nehmen, nachdem Sie schon einmal hier sind? Ich wollte Sie noch etwas fragen.«
Martas Schultern hoben und senkten sich, eine Geste, die beinahe ein halber Knicks war. Sie erinnerte ihn an das Hausmädchen im Haushalt seiner Eltern, als er noch ein Kind gewesen war. Ein stilles, fast geisterhaftes Wesen. Jemand, musste er sich inzwischen beschämt eingestehen, den er damals kaum je wahrgenommen hatte. Sie hatte das Silber poliert und die Betten gemacht und die Treppe gefegt und war immer da gewesen, bis sie schließlich gegangen war. Sie hatte Anna oder Angela geheißen oder – ehrlich gesagt hatte er keine Ahnung. Marta deutete auf ihre Wohnungstür.
»Mögen Sie Tee?«, fragte sie.
Marta griff nach der Teekanne. Genau wie die Tassen und Untertassen war sie mit einem Muster von rosafarbenen Rosenblüten überzogen. Pallioti fragte sich, wann sie das letzte Mal benutzt worden waren. Er beugte sich vor und schüttelte einen toten Käfer aus seiner Tasse. Eigentlich hatte ihn eine plötzliche Eingebung hierhergeführt, weil ihm nach dem Essen nach einem Spaziergang zumute gewesen war und er auf dem Heimweg noch auf einen Grappa in seiner Lieblingsbar einkehren wollte. Ehrlich gesagt hatte er es nicht so mit dem Teetrinken.
Martas kleine, runde Augen funkelten.
»Das sind Proteine, Dottore«, sagte sie und sah dabei auf den toten Käfer. »Und Sie sehen aus, als könnten Sie welche gebrauchen.«
Sie lachte keckernd über ihren Scherz. Falls Giovanni Trantementos Tod sie getroffen hatte, dann hatte sie das offenbar überwunden. Heute Abend schien sie entschlossen, sich zu amüsieren, und sie gab sich alle Mühe.
Pallioti fragte sich, warum. Er hatte den Eindruck, dass sie ihm etwas vorspielte. Aber vielleicht irrte er sich auch. Vielleicht war sie so aufgekratzt, weil heute Sonntag war. Oder weil es endlich zu regnen aufgehört hatte und die Sonne schien. Nicht, dass man das hier gemerkt hätte. Das eine kleine Fenster in Marta Buonifaccios Wohnzimmer ging auf die Gasse. Die Wand gegenüber war so nahe, dass man sie wahrscheinlich berühren konnte, wenn man den Arm durch das Eisengitter vor dem Fenster streckte. Selbst im Sommer zur Mittagszeit würde die Sonne kaum bis hierher dringen. Ursprünglich waren diese Räume wahrscheinlich als Lagerräume oder möglicherweise als Stall genutzt worden. Und doch würde man diese Wohnung kaum zu einem vernünftigen Preis bekommen, obwohl sie eindeutig die am wenigsten begehrenswerte Wohnung im ganzen Haus war und versteckt hinter einem Kamin mit Blick auf eine Mauer lag. Heutzutage bekam man in einem Palazzo wie diesem kaum eine Abstellkammer zu kaufen.
»Das ist aber hübsch«, log er. »Wohnen Sie schon lange hier?«
Marta ließ ihre Teetasse auf halber Höhe schweben. »Nächste Woche«, sagte sie, »sind es fünfundvierzig Jahre.«
»Ach.«
Sie beobachtete ihn über den Tassenrand hinweg und beantwortete dann die Frage, die er nicht gestellt hatte.
»Sie hat der Tante meines Mannes gehört. Sie war hier Hausmeisterin.«
Pallioti nickte und fühlte sich eigenartig gemaßregelt. Er trank ebenfalls einen Schluck Tee. Er schmeckte so, wie er sich den Geschmack von rostigem Wasser vorstellte. Wahrscheinlich würden sich danach seine Zähne stumpf anfühlen.
»Ich hatte gehofft«, sagte er, »dass Sie mir vielleicht behilflich sein könnten.«
Wieder das Lächeln.
Pallioti setzte die Tasse behutsam auf der Untertasse ab, griff in
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