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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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jemand anderem, den Sie kennen?«
    Marta Buonifaccio betrachtete ihn nachdenklich. Sie schien sein Gesicht zu studieren. Schließlich sagte sie: »Nein. Nein, Dottore. Signor Trantemento hat nie vom Krieg gesprochen, nicht einmal, als er den Orden verliehen bekam.«

19. Kapitel
    Juni 1944
    Der Morgen erstrahlte unter einem silbernen Himmel. Ich verließ das Haus in aller Frühe, segelte auf meinem Fahrrad hügelabwärts, ließ mir den Wind durchs Haar wehen und lauschte den morgendlichen Geräuschen in der Stadt, die mir beinahe normal vorkamen. Das hohe Zwitschern der Schwalben, das Klacken der aufgestoßenen Fensterläden. Das Rollen der Räder auf der Straße. Heute hört sich das vielleicht merkwürdig an, aber ich war glücklich. Mehr noch, mich erfüllte eine Art Hochgefühl, jene Art von Begeisterung, die einem das Gefühl gibt, es würden einem Feuerwerksraketen in der Brust explodieren – die Welt wirkte lebendiger und schöner, jede Kleinigkeit zeichnete sich klarer ab, als ich es je gesehen hatte.
    Rom war befreit. Die Alliierten waren im Anmarsch. Zum ersten Mal seit September glaubte ich tatsächlich, dass der Krieg bald zu Ende sein könnte.
    Als ich mich dem Haus der alten Frau näherte, fuhr ich langsamer. Ich bog ab, radelte durch die leere Straße und überzeugte mich, dass die Fensterläden noch genauso standen, wie ich sie tags zuvor zurückgelassen hatte, dass der Geranientopf noch umgekippt auf der Türschwelle lag, inmitten der wie zufällig verstreuten Erde, damit jeder, der zur Haustür wollte, jeder, der auf der Stufe stand und sie öffnete, Fußabdrücke hinterlassen musste.
    Nichts rührte sich, während ich vorbeirollte, nichts schien sich verändert zu haben. Trotzdem fuhr ich vorbei, wobei ich darauf achtete, nicht allzu langsam zu werden – nicht so auszusehen, als würde ich hinsehen –, dann stellte ich mein Fahrrad wie geplant zwei Straßen weiter ab, kehrte zu Fuß zurück, schlich durch die Gasse hinter dem Haus und schloss die Tür zur Spülküche auf. Eine ganze Stunde lang suchte ich alle Zimmer ab. Ich hatte den Esstisch bereits abgeräumt, damit wir dort unsere Karten ausbreiten konnten. Ich fand einen Besen und kehrte die Stufe vor der Haustür. Ich stieg auf den Speicher und kontrollierte ein weiteres Mal das Fenster. Als Papa am späten Vormittag angeschlendert kam, eine Zeitung unter dem Arm, öffnete ich ihm die Haustür mit einem kleinen Knicks, so als würde ich wirklich dort wohnen. Die Karten hatte er in seine Zeitung eingerollt. Wir breiteten sie aus und strichen sie auf dem polierten Mahagoni glatt, um auf gar keinen Fall etwas falsch abzulesen. Wenn alle versammelt waren, wären wir zu neunt. Neun Berichte über Straßen, Munitionslager, Stromleitungen, Eisenbahn-Stellanlagen. Wir hatten die Stadt mitsamt den Außenbezirken in Sektoren unterteilt, vor allem die Straßen in Richtung Süden und Westen, auf denen die Alliierten vordringen würden. Jeder war für einen anderen Sektor verantwortlich, darum war es besonders wichtig, nichts durcheinanderzubringen, nichts zu verwechseln. Bevor wir sendeten, würden wir alles auf den Karten einzeichnen, damit die Übertragung möglichst kurz ausfallen konnte. Mama kam als Nächste, mit JULIA, die sie in einen Koffer gepackt hatte, wodurch sie aussah wie eine Dame aus einst gutem Hause, die ausgebombt worden war und nun ihre Habseligkeiten von einem Unterschlupf zum nächsten schleppte.
    Die anderen erschienen einzeln im Lauf der folgenden Stunde, größtenteils durch die Hintertür, die offen geblieben war, so wie ich es mit Issa abgesprochen hatte. Wer kam, gab seine Informationen an Papa weiter, der alles auf den Karten eintrug. Issa tauchte erst nach dem Mittagessen auf. Ich beobachtete durch das Fenster, wie sie in Rock und Bluse die Straße entlangkam und wie ihr kastanienbraunes Haar in der Sonne glänzte. Sie gab sich Mühe, zu lächeln und langsam zu schlendern, als wäre sie nur ein hübsches junges Mädchen an einem Sommertag. Carlo war bei ihr. Sie hatte sich bei ihm eingehakt. Die beiden kamen an die Haustür wie ein junges Paar auf Besuch. Als sie vor der Tür standen, beugte sich Carlo hinunter und sagte etwas zu ihr, das sie zum Lachen brachte.
    Enrico kam als Letzter. Dann waren wir so weit. Wir standen alle im Esszimmer, um den Tisch versammelt, als wollten wir eine skurrile Messe begehen, und überprüften noch einmal, ob auch wirklich alles, was wir wussten, markiert war – ob nichts vergessen

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