Die Toten der Villa Triste
Fundstücken aus dem Garten gehörte auch ein Bruchstück eines Materials, das als »bakelitähnlich« bezeichnet worden war. Ihm war das bemerkenswert vorgekommen, weil das in den Dreißiger- und Vierzigerjahren verbreitete Bakelit ab 1950 kaum noch verwendet worden war. Eine Überprüfung hatte bestätigt, dass nichts in der Masseria Santa Anna aus Bakelit bestand. Roberto war kein passionierter Sammler von Dingen wie alten Funkgeräten. Trotzdem hatte das Fragment bei D’Aletto eine alte Erinnerung wachgerufen, woraufhin er einen Kollegen in Turin angerufen hatte, der ihm von einem Fall erzählt hatte, bei dem eine uralte Pistole verwendet worden war. Diese Pistole hatte einen Griff aus Bakelit gehabt. Im Lauf der Jahre wurde das Material bröselig. Auf diesen Hinweis hin hatte D’Aletto die Kugel an einen Ballistiker in Neapel geschickt, der sich auf alte Waffen spezialisiert hatte. Der Ballistiker hatte ihm bestätigt, die Spuren auf der Patronenhülse würden darauf hindeuten, dass die Kugel aus einer kleinen Handfeuerwaffe vom Modell Sauer 38H abgefeuert worden war. Die fragliche Waffe war offenbar besonders bei Nazi-Freunden beliebt. Im Krieg waren die SS, der SD und die Fallschirmjäger damit ausgerüstet gewesen, und ein Teil der Waffen war dafür ausgelegt gewesen, Kugeln vom Kaliber .22 abzufeuern.
Cesare war noch gar nicht dazu gekommen, Enzo all das zu erzählen, als Bruno Torricci schon auf die Standardfrage, ob er je eine Schusswaffe besessen habe, hin zu einem Vortrag über die Schönheit alter Naziwaffen angesetzt hatte. Die Wortwahl hatte vermuten lassen, dass ihm dabei eine ganz bestimmte Waffe vorschwebte.
Inzwischen waren Cesare wie auch Enzo überzeugt, dass er sich über sie lustig machen wollte – mit Sicherheit wusste Torricci längst, dass Roberto Roblino mit einer Sauer 38H umgebracht worden war. Sie reagierten darauf, indem sie die Zeugensuche ausweiteten, um im Idealfall nachweisen zu können, dass er auch in Florenz gewesen war. Gleichzeitig beantragten sie Durchsuchungsbefehle für seine Wohnung in Rom und das Elternhaus seiner Freundin am Stadtrand von Bari. Enzo blieb vorerst in Brindisi. Er hoffte, noch am Abend oder spätestens morgen mit einem Geständnis in der Tasche zurückzukommen.
Die Tür ging auf.
»Verzeihung.« Guillermos kahle Birne erschien in der Tür und spiegelte die Deckenbeleuchtung. »Ich habe Sie auf der Gegensprechanlage angerufen«, sagte er, »aber Sie haben mich nicht gehört. Dr. Eleanor Sachs ist am Telefon.«
Pallioti nickte. Während er zum Schreibtisch ging, drückte ihm Guillermo einen Notizzettel in die Hand.
»Der ist für Sie.«
Pallioti warf einen Blick darauf. Es war eine Nachricht der Londoner Botschaft mit der Handynummer von Lord David Eppsy, dem aristokratischen und verreisten »Erotikasammler«, den Pallioti ehrlich gesagt völlig vergessen hatte. Er steckte sie in die Jackentasche.
»Verzeihen Sie«, sagte Eleanor Sachs. »Ich störe hoffentlich nicht.«
Am Telefon klang sie genauso wie im persönlichen Gespräch. Palliotis Erfahrung nach kam das wesentlich seltener vor, als man gemeinhin angenommen hätte. Aus irgendeinem Grund ließ ihn das lächeln.
»Ganz und gar nicht«, sagte er. »Im Gegenteil, ich wollte Sie schon anrufen.«
»Wirklich?«
Er hörte das Zögern und die Nervosität darunter und spürte, wie ihn das schlechte Gewissen stach.
»Allerdings nicht, weil ich Il Spettro gefunden hätte«, schränkte er sofort ein. »Leider. Aber dafür bin ich auf drei Namen gestoßen. Ich habe mich gefragt, ob Ihnen einer davon schon einmal untergekommen ist. Bei Ihren Forschungen.«
»Ach so. Sicher«, sagte sie. »Natürlich. Wie gesagt, mein Gedächtnis ist nicht das beste. Trotzdem – schießen Sie los.«
»Giancarlo Menucci. Piero Balestro. Giovanni Rossi.«
Er hörte, wie sie die Namen notierte, wie der Stift über das Papier schabte.
»Nein«, sagte sie kurz darauf. »Auf Anhieb kommt mir keiner davon bekannt vor. Wer sind … waren sie?«
»Also, Giovanni Rossi war Giovanni Trantemento.«
»Wie bitte?«
»Rossi war der Name seines Vaters. Irgendwann im Frühling 1944 hat er ihn abgelegt und nannte sich fortan Trantemento. Einer der beiden anderen war, glaube ich, Roberto Roblino.«
Eleanor Sachs summte leise vor sich hin. »Also«, meinte sie dann, »das würde jedenfalls die Geburtsurkunde erklären. Beziehungsweise die nicht existierende Geburtsurkunde.«
»Genau«, sagte Pallioti. »Ich bin mir nicht
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