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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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wissen. Weg , hatte Lämmchen geflüstert. Sie sind alle weg. Lilia und der Junge, mit dem sie so unzertrennlich war. Und Caterina, genau wie Enrico und ihre Eltern. All jene, deren Namen Issa an ihren Fingern abgezählt und wie eine Litanei Nacht für Nacht wiederholt hatte. Enrico ist tot. Carlo ist tot. Papa ist tot. Aber wie? Das wollte ihm einfach nicht in den Kopf.
    Ich nannte ihn Jesus, weil er nach drei Tagen von den Toten wiederauferstanden war.
    Allmählich zeichnete sich der Anfang ab: die Verhaftung, der Handel, der im Austausch gegen die »gelungene Flucht« geschlossen wurde. Die Tatsache, dass – wann? – drei, vier Tage darauf das als Waffenlager benutzte sichere Haus in der Nähe des Palazzo Pitti geplündert worden war. Bestimmt ein brauchbares Tauschobjekt. Zu viele wussten Bescheid , hatte Issa gesagt, und sie hatte recht gehabt. Also ja, der Anfang zeichnete sich allmählich ab. Aber das Ende nicht. Denn niemand wusste, wo Radio Julia sendete. Niemand wusste von dem Haus abseits der Via dei Renai. Nur die, die dabei waren, hatten den Ort erfahren, in letzter Minute, und sie waren alle gestorben. Isabella hatte sie gesehen. Mit eigenen Augen. Sie hatte gesehen, wo sie den Graben ausgehoben und sich niedergekniet hatten. Es sei denn, Caterina hatte doch recht gehabt, und sie war von Anfang an beschattet worden.
    Pallioti stellte die Tasse ab. Er spürte, wie sich die Puzzleteilchen verschoben, so, als befänden sie sich in einem Kaleidoskop, aber sie wollten einfach kein erkennbares Bild ergeben. Dazu würde er mit Massimo sprechen müssen.
    Er hatte ein säuerliches Gefühl im Magen, nicht nur, weil er schlecht geschlafen und zu viel Kaffee getrunken hatte, sondern auch, weil er gleich etwas sehr Unangenehmes tun musste. Weil er bereits begonnen hatte, sie zu verraten.
    »Eleanor …«
    Sie schaute ihn an und las aus seinem Gesicht ab, was er gleich sagen würde.
    »Nein«, sagte sie.
    Sie sprang auf und hätte dabei fast ihren Stuhl umgeworfen. »Nein«, wiederholte sie. »Wenn Sie zu ihm fahren, dann komme ich mit.«
    Pallioti schüttelte den Kopf. »Das können Sie nicht. Es ist schon ein Wagen unterwegs. Das ist jetzt Sache der Polizei. Teil der Ermittlungen in einem Mordfall oder zweien. Ich kann unmöglich …«
    »Und heute Morgen waren es noch keine Ermittlungen? Sie ›konnten‹ durchaus, als Sie mich gebraucht haben! Sie haben mir Ihr Versprechen gegeben!«
    Die Frauen hinter der Theke waren verstummt. Im Café war es still bis auf die Geräusche eines Radios irgendwo in einem Nebenraum und Eleanors schweres Schnaufen. Pallioti stand auf. Er war gut einen Kopf größer als sie.
    »Nein. Nein!« Ihre Stimme steigerte sich in ein Protestgeheul. »Das können Sie nicht machen! Sie können mich nicht einfach abschieben. Das ist nicht fair!«
    »Ein Fahrer kommt und wird Sie abholen. Ich warte hier mit Ihnen, bis er eintrifft, und bringe Ihren Wagen noch heute Abend zurück.«
    Er würde sicherstellen, dass sie nach Florenz zurückkehrte. Falls er sie mit ihrem Wagen hierließ, würde sie ihm garantiert hinterherfahren. Hinter ihm herzockeln wie ein verlorener Welpe, den er schließlich mit Tritten verjagen müsste.
    »Nein!«
    Pallioti sah in ihrem tief verletzten, wütend nach oben gerichteten Gesicht, was für eine lange Reise sie unternommen hatte – ganz auf sich allein gestellt, nur von Hoffnung getragen –, und bekam wider Willen Mitleid. Weil ihm bewusst war, wie gefährlich es ihm werden konnte, drängte er es zurück. Er war ungefähr so erfolgreich, als wollte er eine Flut eindämmen, indem er eine Tür zudrückte.
    »Das können Sie nicht«, sagte sie abermals. »Sie haben es mir versprochen.«
    Sie senkte den Kopf und wühlte in ihrer Jackentasche. Schließlich hatte sie ein Taschentuch gefunden, wischte damit über ihre Augen und schnäuzte sich dann. Danach knüllte sie es zusammen und sagte, ohne ihn anzusehen und so leise, dass die Frauen sich über die Theke beugen mussten, um sie zu verstehen: »Das können Sie nicht. Das können Sie mir nicht antun.«
    Pallioti begriff peinlich berührt, dass er aussehen musste wie ein strenger Vater, der seine halbwüchsige Tochter herumkommandierte, oder schlimmer noch, wie ein alternder Lothario, der aus einem unerfindlichen Grund seine jugendliche Geliebte in die Abtei von San Galgano verschleppt hatte, um ihr dort in einer Sandwich-Bar den Laufpass zu geben. Er nahm sie an der Schulter und führte sie ans andere Ende des Raums.

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