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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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bei der Befreiung mitkämpfen, wie konnte er im August schon wieder hier sein? Hätten die Menschen nicht Misstrauen geschöpft, nachdem sie wussten, dass er mit allen anderen bei der Razzia von Radio Julia verhaftet worden war?«
    »Vielleicht nicht.« Pallioti warf ihr einen Seitenblick zu. »Die Razzia erfolgte im Juni. Danach schaffte er seinen Cousin aus Fiesole fort und brachte ihn zu einem Arzt. Sie mussten mindestens einen Monat oder wenigstens ein paar Wochen untertauchen, bis sich Achilleo erholt hatte.«
    »Und im August ging es in Florenz drunter und drüber.« Sie nickte. »Wenn sie gegen Ende der Kämpfe einfach wieder auftauchten, gerade noch rechtzeitig, um etwas Ruhm einzuheimsen, und dabei die eine oder andere Geschichte zusammengesponnen hatten …«
    »Il Corvo und Beppe waren damals längst weg.« Pallioti führte ihren Gedanken zu Ende. »Und von Radio Julia war niemand mehr am Leben, der irgendwas von dem, was Massimo erzählte, widerlegen konnte.«
    »Sein Vetter hätte sowieso für ihn gelogen. Alles bestätigt, was er sagte.«
    Pallioti nickte. Er hatte den Verdacht, dass sich Achilleo Venta glücklich schätzen konnte, noch am Leben zu sein – das war er nur, weil er seinem geliebten Massimo damals so nützlich gewesen war.
    »Und diese beiden Frauen?« Eleanor sah ihn an. »Die Schwestern?«
    Pallioti nickte.
    »Sie wurden verhaftet und abtransportiert. Aber sie konnten tatsächlich entkommen. Sie landeten in Mailand. Und … also, Sie können sich den Rest denken.«
    »Wie hieß sie noch? Lilia? Sie sagten, sie sei schwanger gewesen?«
    »Genau«, bestätigte Pallioti. »Sie war schwanger.« Er drängte den nächsten Wagen von der Überholspur. »Der Vater des Kindes wurde hingerichtet. Er gehörte ebenfalls zu Radio Julia. Davon hat sie sich nie ganz erholt. Es brach ihr das Herz.«
    »Und das Baby?«
    Pallioti zog die Schultern hoch.
    »Keine Ahnung. Der Junge kam in Mailand zur Welt. Wahrscheinlich ist er gestorben.«
    Eleanor verstummte. Sie schaute versonnen aus dem Fenster. Pallioti konzentrierte sich auf den Verkehr. Eigentlich hätte er so etwas wie Erleichterung oder zumindest Bestätigung empfinden müssen, weil er recht behalten und ihn sein viel gerühmter sechster Sinn, sein »Gehör«, wie Signora Grandolo es bezeichnet hatte, nicht verlassen hatte. Aber er spürte nichts dergleichen. Kaum hatte er die Namen auf dem Eintrag aus der Villa Triste gesehen und begriffen, dass – und warum – sie offiziell für tot erklärt worden waren, war er sich vorgekommen wie ein Idiot. Wie ein ahnungsloser Amateur.
    Er hatte sich ausspielen lassen, und zwar, was noch schlimmer war, von den Toten – genau wie Isabella vor so vielen Jahren.
    Dass die drei entkommen waren, hatte ihn kurz stutzen lassen, dann hatte er ihre Flucht auf schlichtes Glück geschoben, an das er nicht glaubte. Und den zweiten Teil des Doppelspiels hatte er komplett übersehen. Obwohl er ihm ins Gesicht gestarrt hatte. Er hätte begreifen müssen, warum man Issa ausgewählt und auf die Lichtung gebracht hatte – man hatte sie nicht zufällig ausgewählt oder weil sie in der Zelle so viel Lärm geschlagen hatte, sondern weil sie jemand Besonderes war. Eine Heldin. Eine Frau, die vielen Menschen das Leben gerettet hatte. Eine Frau, deren Worte von keinem ihrer Kameraden angezweifelt wurden.
    Wer auch immer dafür gesorgt hatte, dass sie zu dieser Lichtung gebracht wurde, hatte das gewusst. Und er hatte gewusst, dass man ihr glauben würde, wenn sie überlebte und berichtete, dass alle Mitglieder ihrer GAP-Einheit hingerichtet worden seien – so wie sie es bei der ersten Gelegenheit in Verona getan hatte. Weil sie die Leichen mit eigenen Augen gesehen hatte.
    Nur dass sie etwas anderes gesehen hatte.
    Sie hatte genau das gesehen, was man ihr gezeigt hatte. Ihren Vater, ihren Bruder, ihren Geliebten. Und darunter ein Gewirr von Armen und Beinen. Armen und Beinen, die ihrer Überzeugung nach die von Il Corvo und Beppe und Massimo waren. Die aber in Wahrheit zu drei Jungen gehört hatten. Drei Fremden, die, soweit Pallioti das sagen konnte, eigens zu diesem Zweck verhaftet und erschossen worden waren.
    Dieses Vorgehen zeugte von einer Effizienz – und Intelligenz –, die man Mario Carita eigentlich nicht zugetraut hätte. War es am Ende Massimos Idee gewesen – dass Issa in Carlos totes Antlitz blicken und dabei den Männern, die ihn verraten hatten, ein Alibi verschaffen sollte? Falls sie im Lager gestorben wäre,

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