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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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erwartet?«
    Die Augen der kleinen Frau füllten sich mit Tränen.
    »Wen haben Sie erwartet, Signorina?« Diesmal fragte er ganz behutsam, und das Mädchen begann zu weinen. Ihr Gesicht wurde faltig. Sie schüttelte den Kopf.
    »Papa Balestro«, sagte sie. »Ich habe Auto gehört und gedacht – Papa Balestro.«
    »Papa?«
    Pallioti hörte Eleanor in seinem Rücken.
    Das Haar der Kleinen hatte sich aus der Plastikklemme gelöst, die es zurückhielt. Dunkle, seidige Strähnen schaukelten vor ihrem Gesicht und blieben an ihren nassen Wangen kleben.
    »Verzeihung …« Sie weinte. »Verzeihung. Verzeihung. Ich mache mir große Sorgen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Und dann habe ich den Wagen gehört und gedacht …«
    Pallioti sah zum Haus. Hinter der offenen Tür sah er in den Flur. Der Messinglüster im Landhaus-Design leuchtete auf die viel zu neuen Terrakottafliesen. Er ließ den Arm der Frau los, stieg die Stufen hinauf und drückte die Tür ganz auf. Ein einsames Paar Jagdschuhe stand auf dem Schuhregal. Darüber hingen die Gewehre genauso wie am Tag zuvor. Nur die Flinte fehlte.
    Er drehte sich um und fragte: »Wo ist Dr. Balestro?«
    Das Hausmädchen wischte sich über die Augen. Auf den Manschetten ihrer hellblauen Uniform blieben dunkle Tränenflecken zurück.
    »Ich weiß nicht, Dottore. Ich weiß nicht.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Sie schüttelte den Kopf und sah Pallioti an, als könnte er ihr diese Frage beantworten.
    »Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?« Er fragte so barsch, dass sie zusammenzuckte.
    »Gestern Abend«, antwortete sie. »In der Nacht. Ich sehe immer nach ihm, ob er etwas braucht für die Nacht.«
    »Und brauchte er etwas?«
    Sie schüttelte wieder den Kopf. »Nein. Er war am Telefon. Er hat gewinkt – dass ich weggehen soll. Also bin ich gegangen. Und heute Morgen habe ich nur das Auto gehört.«
    »Wann?«
    »Früh.« Sie begann, hemmungslos zu schluchzen. »Er geht immer jagen. Er nimmt Pepe mit, den Hund. Aber …«
    »Aber?«
    »Sonst ist er immer rechtzeitig wieder da. Zum Frühstück. Um neun, dann geht er in den Stall. Ich mache ihm …«
    Pallioti interessierte es nicht, was sie ihm zum Frühstück machte.
    »Wo ist der Hund?«, fragte Eleanor. »Der Hund.« Sie sah Pallioti an.
    Ehe jemand etwas sagen konnte, hörten sie es wieder. Durch die stille Novemberluft hallte von weit her das Heulen eines gequälten Tieres.
    »Sie bleiben hier.« Pallioti deutete auf das Haus. »Sie gehen rein und verriegeln die Tür. Sie machen niemandem auf außer mir.«
    Das Hausmädchen nickte und huschte die Stufen hinauf wie ein kleines Tier, das in seinen Bau zurück flieht. Die Tür schwang zu. Sie hörten am Klicken, wie ein Schloss nach dem anderen einschnappte. Pallioti lief geduckt zwischen der Baumreihe durch und trat auf den Rasen. Weiter unten auf der Koppel sahen die Pferde zu ihm auf.
    »Da«, sagte Eleanor.
    Das Geräusch war schon wieder zu hören. Von dort, wo sie jetzt standen, klang es ein wenig lauter.
    Er sah sie finster an.
    »Sie sollten hierbleiben.«
    Ohne ihn zu beachten, eilte Eleanor die Treppe hinunter, die zu den Ställen führte. Pallioti folgte ihr, sah dabei aber noch einmal zurück. Unter der Mittagssonne ragte das Haus wie ein bleicher Felsblock auf. Zwischen den tiefroten Läden der Wohnzimmerfenster konnte er ein kleines Gesicht erkennen. Im selben Moment hob das Mädchen eine Hand und presste sie gegen die Scheibe.
    Der Pfad, der sich an den Ställen vorbeizog, führte zwischen mehreren Wiesen hindurch, auf denen keine Tiere grasten. Nach der letzten Weide ging der Schotter in gestampfte weiße Erde über. Pallioti begann zu joggen, Eleanor folgte ihm. Das Heulen kam jetzt regelmäßig, es hob und senkte sich wie bei einer Sirene. Der Pfad wand sich um einen niedrigen Hügel. Weiter vorn konnte Pallioti einen Tümpel mit einem Waldstreifen erkennen. Aus einem kleinen Tal ragten die nackten Baumkronen einer Reihe von Kastanien und Birken auf, die sich wie ein Bach durch die Talsohle schlängelte. Erst als sie die Bäume fast erreicht hatten, sah er etwas Rotes aufblitzen. Pallioti hob die Hand. Eleanor blieb stehen. Das Geheul des Hundes hatte sich zu einem Winseln abgeschwächt, so, als hätte er ihr Kommen gespürt. Langsam gingen sie weiter.
    Der Jeep stand mit der Schnauze voraus unter ein paar Bäumen. Pallioti hatte nicht daran gedacht, aber eigentlich hätte ihm klar sein müssen, dass es natürlich eine zweite Zufahrt von der Straße zu den

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