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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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herstellte, die zur CLN in der Toskana gehörte und den Widerstand organisierte. Sie gingen in die Berge. Die ganze Familie war oft wandern gegangen, vor allem die jüngste Tochter Isabella, die sich den beiden kurz darauf anschloss. Es dauerte nicht lange, und sie und Carlo hatten eine Fluchtroute eingerichtet, die von Fiesole entlang der alten Via degli Dei über das Gebirge bis nach Bologna führte. Anfangs führten sie vor allem Kriegsgefangene, alliierte Flieger. Dann, als es eng wurde, als die Besetzung hässlich zu werden begann, auch Juden. Manchmal ganze Familien. Mit Kindern.«
    Pallioti verstummte.
    »Ein paar Überlebende habe ich kennengelernt«, sagte er. »So wie Sie bestimmt auch. Also, mindestens einen habe ich getroffen. Einen Signor Cavicalli. Vielleicht kennen Sie ihn?«
    Pallioti spürte ihren Blick eher, als dass er ihn sah.
    »Er und sein Sohn führen in Santa Croce einen Laden namens Patria Memorabilia«, erläuterte er. »Ich glaube, die Schwestern halfen der Familie zu entkommen – die andere Schwester, Caterina, half damals auch mit, und zwar hier von Florenz aus. Die beiden retteten der Familie Cavicalli das Leben. Sie brachten sie in die Schweiz. Signor Cavicalli hat ihnen das nie vergessen.« Er schüttelte den Kopf. »Aber andererseits vergisst man so etwas auch nicht, oder? Nicht etwas so Einschneidendes. Wie den Krieg.«
    Signora Grandolo stand immer noch am Kamin, aufrecht und mit durchgestrecktem Rücken wie eine Ballerina. Pallioti holte tief Luft und fuhr fort.
    »Im Winter 43 auf 44«, sagte er, »wurde die Lage prekär, wie Sie wissen. Die Familie war in die Sache mit Radio Julia verwickelt. Genauer gesagt, sie betrieben den Sender. Caterina arbeitete immer noch als Krankenschwester – damals wütete eine Grippewelle, und viele Menschen starben. Sie nutzte alles, was sie im Krankenhaus erfuhr. Sie schafften es, weiter zu funken, doch es wurde immer gefährlicher. Inzwischen arbeitete Isabella mit einer GAP-Einheit zusammen. Am Valentinstag 1944 wäre sie bei einem Attentatsversuch um ein Haar verhaftet worden. Sie wurde verletzt, konnte aber entkommen. Die drei Männer, die mit ihr zusammenarbeiteten und deren Decknamen Il Corvo, Beppe und Massimo lauteten, hatten weniger Glück. Sie wurden verhaftet und in die Villa Triste gebracht.« Pallioti beugte sich vor. »Drei Tage später«, fuhr er fort, »konnten sie entkommen. Jedenfalls sah es so aus. Tatsächlich hatten sie einen Handel mit Mario Carita geschlossen. Kurz gesagt, man hatte sie ›umgedreht‹. Sie wurden freigelassen und bei ihrer GAP-Einheit wie Helden empfangen, weil sie Isabella gerettet hatten und danach entkommen waren – aber in Wahrheit waren sie Verräter. Sie hatten einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Falls herausgekommen wäre, was sie getan hatten, wären sie umgebracht worden. Und so begannen sie, Informationen weiterzugeben. Die Adresse eines sicheren Hauses, in dem Waffen gelagert wurden. Die Namen der daran Beteiligten. Und zuletzt, als Kronjuwel, das, worauf es Carita vor allem abgesehen hatte. Radio Julia. Aber das wissen Sie natürlich.« Er sah sie an. »Das weiß jeder. Wie der ganze Sender mit allen Beteiligten aufflog.«
    Signora Grandolo nickte. Es war nur die Andeutung einer Kopfbewegung.
    »Der Verrat von Radio Julia war der letzte, entscheidende Akt«, sagte Pallioti. »Beppe, Il Corvo und Massimo ließen sich dafür bezahlen. Alle wurden dafür entlohnt. Wahrscheinlich fürstlich.«
    Pallioti lächelte, und im Schein der Flammen wirkte sein Gesicht ungewöhnlich scharf.
    »Und zwar nicht mit Salz«, erklärte er. »Das kam später. Damals, im Juni 44, bekam Beppe nicht nur Geld, sondern auch die sichere Ausreise nach Spanien zugesichert. Il Corvo bekam Papiere und Reisepässe, mit denen er seine jüdische Mutter und Schwester in die Schweiz bringen konnte. Wenn Sie mich fragen, saßen die beiden«, sagte er, »in der Falle. Sie hatten Todesangst davor, was die Partisanen mit ihnen anstellen würden, wenn man herausfand, was sie getan hatten, und noch mehr Angst davor, was Carita tun würde, falls sie nicht kooperierten. Wahrscheinlich hatten die beiden zumindest ein Gewissen. Sogar Schuldgefühle. Jedenfalls möchte ich das gern glauben. Beim Dritten, Massimo …« Er sah Signora Grandolo an. »Ich glaube, er war der Anführer. Ich habe den Verdacht, das Ganze war seine Idee.« Pallioti lehnte sich zurück. »Wie ich neulich Abend gesagt habe«, fuhr er fort, »gehörte Massimo zu

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