Die Toten der Villa Triste
Tür.
Pallioti stand auf der Kiesauffahrt und sah den Wagen wegfahren. Die roten Bremslichter flackerten auf und verschwanden dann hinter dem Tor. Um ihn herum deckte der Schnee die Welt mit Stille zu. Seine Schuhe hinterließen schwarze Spuren, als er die Stufen hinaufstieg und über die Terrasse ging.
Lichtstreifen drangen durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden und flossen über die Ränder der leeren Zitronenbaum-Kübel, die, wie Soldaten aufgereiht, die Front der Villa bewachten. Als Pallioti zur Tür kam, blieb er kurz stehen und atmete die kalte Luft ein, in die sich der Duft der Blumen mischte. Er wusste, dass er sich nur umzudrehen brauchte, um unter sich die Stadt zu sehen, einen Teppich von blinkenden Lichtern, akzentuiert von dem hoch aufragenden Kirchturm über Santa Croce, dem schartigen, honiggelben Turm des Palazzo Vecchio und der sanften Wölbung der Domkuppel. Schließlich streckte er die Hand aus und zog an der Glocke. Überflüssigerweise. Sie erwartete ihn bereits.
»Mein Freund!«
Die Eingangshalle, in die Pallioti trat, wirkte gleichzeitig karg und elegant. Die Hand, die diesen Raum eingerichtet hatte, ob es nun die des »kleinen hässlichen Mannes« gewesen war oder die der Signora persönlich, bewies jene geschickte Sicherheit, die nicht von Geld zeugte, sondern von dem sicheren Wissen dazuzugehören.
Nichts verdeckte den nackten Marmorboden, nur die Politur zierte die Körnung des Steines. Auf ein paar Tischchen standen Lampen, die warme Lichtkreise auf die verputzten Wände warfen. Eine elegant geschwungene Treppe führte in jenes Geschoss hinauf, das einst als piano nobile gedient hatte und wo sich jetzt höchstwahrscheinlich die Schlafzimmer, vielleicht auch ein Arbeitszimmer und ein kleiner Salon befanden. Das Haus war ein unverfälschtes Produkt der Renaissance, so florentinisch wie die Frau, die jetzt vor ihm stand. Genau wie sie brauchte es keinen Schmuck, sondern konnte sich ganz und gar auf die schlichte, ausgefeilte Schönheit seiner Gestalt verlassen.
Er überreichte ihr den Karton. Sie legte ihn auf einen Tisch neben der Treppe und hob behutsam den Deckel ab. Eine Duftwolke stieg auf und trieb durch die Eingangshalle. Signora Grandolo schnaufte kurz und erfreut auf.
»Die sind wirklich wunderschön.« Sie sah ihn an, eine Hand über den Blüten. »Aber warum?«, fragte sie. »Wofür?«
»Weil«, antwortete Pallioti, »ich Ihnen danken wollte.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe doch gar nichts getan.«
»O doch«, sagte er. »Ich glaube, das haben Sie sehr wohl.«
Signora Grandolo betrachtete ihn aufmerksam. Dann hob sie die Hand. Der Schal, den sie übergeworfen hatte, war ins Rutschen gekommen. Sie zog ihn fester um die Schultern. Der Stoff schimmerte im Licht. Etwas raschelte leise. Scheinbar wie von selbst rutschte das Seidenband aus dem weißen Karton. Es glitt über die elfenbeinfarbenen Blütenblätter und entrollte sich auf dem polierten Holz der Tischplatte.
»Weshalb sind Sie gekommen?«, fragte sie.
»Weil Sie mich darum gebeten haben«, erwiderte Pallioti. »Sie haben mich gebeten, vorbeizukommen und Ihnen Bescheid zu sagen, wenn ich entschieden hätte, ob die Geschichte, der ich nachjage, wirklich wichtig ist oder ob sie inzwischen vorbei ist.«
»Ach ja.« Sie nickte. »Und ist sie es?«
»Wichtig?« Pallioti streifte die Handschuhe ab. Er faltete sie zusammen und steckte sie in die Manteltasche. »Ja«, sagte er. »Wenigstens für mich. Und vorbei?« Er überlegte kurz. »Ja«, wiederholte er dann entschieden. »Ja. Ich glaube, dass die Geschichte jetzt endgültig vorbei ist.«
Signora Grandolo lächelte. Sie hob das schwere Satinband auf, rollte es ein und legte es neben den Blumenkarton. »In diesem Fall«, schlug sie vor, »sollten wir uns vielleicht setzen.«
Unter weniger geschickten Händen hätte der Raum, in den sie ihn führte, möglicherweise einschüchternd oder, schlimmer noch, protzig gewirkt. Er erstreckte sich über die halbe Front der Villa. Es gab drei Sitzgruppen, jeweils eine an jedem Ende des Raums und eine in der Mitte. Auf dem Boden lag hier und da ein Teppich. Bücherstapel ruhten auf langen, niedrigen Tischen zwischen den hohen, von Fensterläden verdunkelten Fenstern, deren strenge Linien nicht von Vorhängen aufgeweicht wurden. Am anderen Ende des Raums stand ein Flügel, offen, denn er diente tatsächlich als Musikinstrument und nicht als Dekorationsstück zur Ausstellung von Familienfotos.
Auch die gab es
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