Die Toten der Villa Triste
jener Art Mensch, gegen die wir damals kämpften. Aber so leicht lassen sich diese Menschen nicht vertreiben, nicht wahr? Am Ende mussten sie Mario Carita jagen und erschießen wie eine Ratte. Er hatte sich im Val d’Aosta verkrochen, notdürftig versteckt und ohne einen Funken Reue. Massimo war genauso. Grausam. Raffiniert. Sogar so raffiniert, dass er – oder vielleicht Carita, aber vermutlich Massimo selbst – sich das perfekte Alibi für sie alle ausdachte. Das Isabella selbst bestätigen würde. Sie hasste er ganz besonders. Aus Eifersucht. Ich glaube, er war anfangs in sie verliebt. Er ließ sie glauben, alle drei Verräter seien gestorben. Sie bekam Leichen gezeigt, die sie für ihre halten musste. Und die sie darum auch sah. In Wahrheit sah sie etwas anderes. Oben auf dem Haufen lagen ihr Vater, ihr Bruder und Carlo, ihr Geliebter, dessen Kind sie damals im Bauch trug. Das brach ihr das Herz.« Pallioti machte eine Pause. »Aber danach wird es interessant«, sagte er dann. »Denn diese Erfahrung lehrte sie etwas. Über das Totsein.« Er beugte sich vor, griff nach dem Buch über den General und legte es beiseite. »Wissen Sie«, sagte er dann, »Isabella war eine außergewöhnliche Frau.« Er sah auf und lächelte. »Obwohl Caterina auf ihre Art nicht weniger außergewöhnlich war. Gewöhnliche Menschen, die Außergewöhnliches vollbrachten. Sie sind übrigens wirklich entkommen«, warf er ein, »alle beide. Sie gelangten nach Mailand, wo man ihnen eine neue Identität verschaffte. Sie kämpften weiter. Aber gleichzeitig ließ sie die Erinnerung an Radio Julia nicht mehr los. Und an das Ende. Beide fanden keine Ruhe. Keine konnte das vergessen. Isabella bekam schließlich ihr Kind, einen kleinen Jungen. Und dann, im März 1945, bekam Caterina die Chance, mit dem Baby zusammen nach Neapel zu gelangen. Wie sich herausgestellt hatte, war ihr Verlobter noch am Leben, und er hatte alles arrangiert, um Caterina zu sich zu holen. Wobei ich zugeben muss«, sagte Pallioti, »dass ich mir in dieser Sache nicht sicher bin. Ich kenne keine Details. Ich weiß nur, dass Isabella Caterina überzeugte, das Baby mitzunehmen, weil sie später zu ihnen stoßen wollte. Aber irgendetwas ging schief. Was, weiß ich nicht. Im April 1945 waren beide tot. Nur wenige Tage vor der Befreiung, für die sie so gekämpft hatten. Caterina starb in einem Feldlazarett bei Bologna und Isabella westlich der Stadt bei einem Bombenangriff der Alliierten.« Er sah zu ihr auf. »Jedenfalls glaubten das damals alle.«
Der Schein der Flammen tanzte über Signora Grandolos Gesicht und kräuselte sich auf ihrem Schal. Eine Hand auf dem Kaminsims, stand sie reglos wie eine Statue vor ihm.
»Verstehen Sie, ich weiß nicht, welche von beiden es war«, sagte Pallioti. »Ich bin mir da nicht sicher. Aber eine von beiden überlebte. Sie gelangte irgendwie zurück nach Florenz, und als sie hier ankam, erkannte sie, dass jeder sie für tot hielt und dass tot zu sein auch Vorteile haben könnte. Ich glaube, das hatte sie aus der Erfahrung mit Radio Julia gelernt. Also nahm sie einen neuen Namen an und baute sich ein neues Leben auf. Trotzdem vergaß sie nie.« Er strich mit dem Finger über die Buchkante und spürte den scharfen Rand des Schutzumschlags. »Sie vergaß nichts von dem, worüber sie mit ihrer Schwester geredet hatte«, fuhr er fort. »Erst im Gefangenenlager und später dann in der Wohnung, in der sie sich in Mailand versteckten. Darüber, was wohl passiert war. Wer sie wohl verraten haben könnte. Wer dafür verantwortlich war, dass ihr Vater und ihr Bruder, ihre Mutter und ihre Kameraden und der von Isabella über alles geliebte Mann gestorben waren.« Pallioti schüttelte den Kopf. »Ich habe den Verdacht, dass sie Nachforschungen angestellt hat. Vermutlich hat sie alles in ihrer Macht Stehende unternommen, um mehr darüber herauszufinden. Sie ackerte Akten durch, machte Leute wie die Cavicallis ausfindig … Wussten Sie übrigens«, fragte Pallioti und sah sie wieder an, »dass Signor Cavicalli einen Zwilling hatte? Einen Bruder. Und eine kleine Schwester. Die Kleine war noch ein Knirpschen, höchstens drei oder vier Jahre alt, als sie flohen. Es muss ein mörderischer Marsch gewesen sein. Nachts. Durch den Schnee. Auf jeden Fall«, fuhr er fort, »wurde sie nicht fündig. Sämtliche Unterlagen besagten, dass alle, die an Radio Julia beteiligt waren, exekutiert worden waren. Jeder, der etwas gewusst hatte, war gestorben. Und so gab sie
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