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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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die Suche vermutlich irgendwann auf, auch wenn sie nie wirklich vergaß. Bis zu einem Abend vor fast zwei Jahren. Während der Feierlichkeiten für den sechzigsten Jahrestag, als sie den Fernseher einschaltete und drei Tote auf dem Bildschirm stehen sah. Können Sie sich das vorstellen? Direkt vor ihren Augen, mit je einem Orden an der Brust. Il Corvo und Beppe und Massimo.«
    Die Namen fielen in den Raum, schnell und glatt wie Kieselsteine, die ins Wasser plumpsen. Pallioti meinte zu spüren, wie die kleinen Wellen in die Stille und die Nacht und den Schnee hinausliefen.
    »Der Rest«, fuhr er fort, »war einfach.«
    Ein Scheit verrutschte auf dem Feuer, und ein kleiner Funkenregen stieg auf. Beide schauten schweigend zu. Dann griff Signora Grandolo nach dem Schürhaken, bückte sich und schob das verkohlte Holzstück zurück in die Flammen.
    »Erzählen Sie weiter«, sagte sie.
    »Nun ja.« Pallioti breitete die Hände aus. »Nachdem sie erst wusste, dass die drei noch am Leben waren, war es kein Problem, sie zu finden. Überall gibt es Unterlagen. Organisationen wie ›Gedenkt der Gefallenen‹, die nur zu gern behilflich sind.«
    Während sie den Schürhaken in den Messingkorb zurückstellte, sich aufrichtete und wieder zu ihm umdrehte, lag Palliotis Blick auf ihrem Rücken, der für eine Frau ihres Alters ungewöhnlich geschmeidig und straff wirkte.
    »Anfangs habe ich mich gefragt«, fuhr er fort, »warum sie so lange wartete. Anderthalb Jahre. Inzwischen glaube ich allerdings, es zu wissen.«
    Er lehnte sich wieder zurück und sah zu ihr auf.
    »Sie müssen wissen«, sagte er, »dass diese Schwestern schrecklich mutig, geradezu tolldreist waren, wenn sie sich selbst in Gefahr begeben mussten. Aber wenn das Leben eines anderen Menschen auf dem Spiel stand, waren sie sehr, sehr vorsichtig. Bei all ihren Krankenwagenfahrten, bei all ihren Fluchthilfen 1943 und 1944 ging nie auch nur ein ›Päckchen‹ verloren. Dafür waren sie unter den Partisanen berühmt. Es handelte sich also um eine Frage des Stolzes. Umsichtig vorzugehen und keinen Fehler zu machen. Und bei ihrer Vergangenheit«, fuhr er fort, »wird sie sich bestimmt gesagt haben, dass dieser letzte Einsatz perfekt ablaufen musste, weil sie ihn sonst nicht zu Ende bringen könnte. Und das wollte sie um jeden Preis. Schließlich hatte sie lange genug gewartet. Jahrzehnte. Darum plante sie alles ganz genau. Und so etwas erfordert Zeit. Ich würde vermuten, dass die Waffe schon länger in ihrem Besitz war«, ergänzte er. »Möglicherweise sechzig Jahre. Wahrscheinlich war sie ein Erinnerungsstück. Und was das Salz angeht«, sagte er, »also, das hatte sie sich vermutlich ebenfalls schon längst überlegt. Meinen Sie nicht auch?«
    Die Frage stand unbeantwortet im Raum.
    »Ich frage mich, ob sie sich damals, als sie in jenem Lagerhaus in Verona auf ihrer Pritsche lag und rundherum die Frauen sterben sah, an diesem Traum festgehalten hat. Dass sie eines Tages denjenigen finden würde, der sie damals verraten hatte und der damit so viele geliebte Menschen in den Tod geschickt hatte; ob sie sich vorgestellt hat, wie sie ihn niederknien und seine Belohnung fressen lassen würde.« Er holte tief Luft, weil er plötzlich Giovanni Trantementos Gesicht vor sich sah, und zwang sich dann weiterzureden. »Roblino, Beppe. Ich glaube, bei ihm war es am einfachsten. Er war der Einfältigste, der Leichtgläubigste. Ein Schaumschläger. Sie brauchte ihn nur anzurufen und zu behaupten, sie sei die Witwe eines Partisans oder sie würde sich einfach für seine Kollektion an Erinnerungsstücken interessieren. Vielleicht stand sie auch eines Tages unangemeldet vor seiner Tür. Frauen wirken so gut wie nie bedrohlich. Ohne Ihnen nahetreten zu wollen, Signora, vor allem, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben.«
    Er war nicht sicher, aber er meinte, ein Lächeln zu entdecken.
    »Jetzt zu Trantemento. Der war nicht so einfach zu überlisten. Er war scheu und schlau zugleich. Trotzdem wird es nicht allzu schwierig gewesen sein. Man kommt recht leicht in das Gebäude. Natürlich«, ergänzte er, »musste er zuerst sterben. Wie gesagt, Giovanni Trantemento war schlau und misstrauisch, Roblinos Tod hätte ihn aufschrecken können. Und Roblino musste möglichst bald darauf sterben, nur für den Fall, dass er von Trantementos Tod erfuhr. Schnell und entschlossen durchgreifen. Das Überraschungsmoment ausnutzen.« Pallioti lächelte. »Das war ihre Devise. Il Corvo zuerst, dann

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