Die Toten der Villa Triste
Roberto Roblino gestorben war, genauso wenig wie an dem Morgen, an dem es Piero Balestro getroffen hatte. Die Überwachungsbänder aus der Garage nahe Giovanni Trantementos Wohnung oder aus Balestros Kameras konnte er noch so oft ansehen, ohne dass er ihren Wagen darauf entdeckte. Er würde auch keinen Waffenschein für eine Sauer 38H, keine Quittung für eine Schachtel Munition und keinen Kassenzettel für ein Paar Herrenhandschuhe finden.
Letzten Endes würde er keinen Haftbefehl beantragen. Weil das nichts bringen würde. Er konnte sie genauso wenig einfangen wie das blinkende Auge einer Überwachungskamera. Sie war gekommen und wieder verschwunden, ohne auch nur einen Hinweis zu hinterlassen. Bis auf einen schwarzen Krümel Bakelit. Das war alles. Der Rest war nur eine Geschichte. Und Signora Grandolo war nur eine alte Dame.
Der Fall hinterließ einen bitteren Nachgeschmack wie nach zu viel Salz.
Darum riet ihm sein Instinkt, Marta Buonifaccio einfach zu vergessen. Die Vergangenheit hinter sich zu lassen und, in dem gefürchteten Neusprech der Moderne, »nach vorn zu blicken«. Andererseits war er zum Abendessen mit Enzo verabredet, weil sie über die neuen Etatbeschränkungen und über die Einstufung zukünftiger Fälle im neuen Jahr sprechen wollten, und der Palazzo lag praktisch auf dem Weg, nur ein paar Straßen von dem neuen Restaurant entfernt, in dem Guillermo einen Tisch für sie reserviert hatte. Er wusste nicht recht, warum, aber es zog ihn nicht mehr so oft ins Lupo wie früher.
Um halb sieben erreichten sie Giovanni Trantementos Wohnhaus. Die Straßenlaternen glühten schwefelgelb und legten tiefe Schatten über die obere Hälfte der aufgerauten Fassade. Wenn überhaupt, dann wirkte die Schlucht zwischen den Palazzi im Dunklen noch enger, schienen die Eingänge noch düsterer. Enzo spielte wieder einmal Palliotis Fahrer und spähte in jede Gasse, als drohten darin alle möglichen Gefahren. Dann hielt er vor der Haustür an.
»Soll ich mitkommen?«
Pallioti schüttelte den Kopf und öffnete die Wagentür.
»Es dauert nur fünf Minuten«, sagte er. »Na schön, vielleicht zehn.«
So, wie er es sah, würde seine Unterhaltung mit Marta knapp und sachlich ausfallen. Später sollte er erkennen, dass er es besser hätte wissen müssen.
Die Eingangshalle war unverändert. Sie zu betreten war, wie in schlammiges Wasser einzutauchen. Das Licht war nicht nur gedämpft, es wirkte eindeutig trübe, so als würden die Jahrhunderte, die sich hier angesammelt hatten, ausblühen wie Algen. Die Lampe warf den immer gleichen Lichtkreis auf den Tisch mit der Post, dem auf den ersten Blick anzusehen war, dass Marta wieder zurück war. Kein einziger leerer Umschlag, kein Wurfzettel lag auf dem Boden. Was es an Einwurfsendungen gab, war in korrekten kleinen Stapeln angeordnet, die in exakten rechten Winkeln ausgerichtet waren. Eine davon stammte garantiert von dem Taxiunternehmen, von dem Pallioti seine Informationen bezogen hatte. Er hatte sich Cara Frattos Rat zu Herzen genommen – dass Wurfzettel nur dort ausgelegt wurden, wo es Geschäft gab –, das Büro von »First Class Taxis« aufgesucht und sich bestätigen lassen, dass man, jawohl, Marta Buonifaccio drei Tage vor seinem letzten Besuch nachmittags zum Flughafen Peretola gefahren habe. Heute Mittag hatte man ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass man sie eben wieder abgeholt und zu Hause abgesetzt hatte. Offenbar war sie in Rimini gewesen.
Anfangs war das Pallioti als merkwürdiges Ziel für einen Winterurlaub erschienen. Dann hatte er begriffen, dass der ehemals mondäne Urlaubsort am Meer immer noch zwei entscheidende Vorzüge bot. Die Preise – der Ort war nur noch »ehemals mondän« und daher billig, vor allem Ende November. Und es gab dort ein Kasino.
An Martas Wohnungstür gab es keine Klingel. Er klopfte mit den Knöcheln gegen das polierte Holz. Die Tür ging auf, bevor er die Hand zum zweiten Mal erhoben hatte.
»Ispettore.« Die Begrüßung, wenn man es denn so nennen wollte, klang wenig begeistert.
»Signora Buonifaccio. Willkommen zu Hause. Dürfte ich kurz hereinkommen?«
Sie sah ihn an, als hätte sie am liebsten Nein gesagt, brächte aber nicht den Mut auf, das auszusprechen. Stattdessen nickte sie stumm und trat beiseite. Pallioti fühlte sich wie ein Geldeintreiber, als er in das winzige Wohnzimmer ging. Er redete sich ein, dass das Unfug war, dass er nur seine Arbeit machte. Er wandte sich ihr zu und lächelte, wie um sich zu
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