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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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Damit du vor dem Essen baden kannst. Papa ist in seinem Arbeitszimmer«, meinte sie dann scheinbar grundlos.
    Die aufgekratzte Stimme war fast so erschreckend wie die Schürze. Ohne ein Wort zu sagen, durchquerte ich die Küche und trat in die Speisekammer.
    Auf dem Schneidebrett stand Käse. Die Beutel mit Nudeln und Reis, die ich in der Vorwoche gekauft hatte, lagen noch in ihren Fächern. Brot. Eier. Milch im Kühlfach. Zwei Kohlköpfe. Ein Korb Zwiebeln. Ein zweiter mit Karotten. Alles frisch vom Schwarzmarkt und mit Mamas Geld erworben.
    Ich stand in der Speisekammertür, ohne recht zu wissen, wonach ich suchte. Dank meiner neuen Aufgabe als Stationsschwester war ich mittlerweile recht gut darin, Bestände im Kopf abzugleichen, aber in letzter Zeit war ich kaum zu Hause gewesen und noch seltener in der Küche, weshalb ich nicht sicher sein konnte, was verbraucht oder ersetzt worden war.
    Ich spürte, wie Mama mich von der Küche aus beobachtete. Ich sah mich um, ließ den Blick über die Regale wandern, über den Fleischwolf und das Kühlfach. Dann blieb mein Blick an der Kellertür hängen. Der Riegel war vorgeschoben. Ich legte die Hand auf die Porzellanklinke. Sie ließ sich nicht bewegen. Abgeschlossen. Ich sah auf. Der Haken neben dem Türstock war leer.
    »Wo ist eigentlich der Schlüssel?« Ich kehrte in die Küche zurück. »Zum Keller?«, fragte ich. »Wo ist eigentlich der Kellerschlüssel?«
    Meine Mutter hatte die Schüssel stehen lassen und spähte jetzt in den Ofen, weshalb ich ihr Gesicht nicht sehen konnte, als sie mir antwortete. Aber ich sah ihren Rücken. Er versteifte sich kurz. Nicht auffallend, es war nur ein kurzer Reflex, als würde sie sich auf einen Schlag gefasst machen.
    »Mama …«
    Ich wollte sie schon anbetteln – nein, zwingen –, mir zu verraten, was da gespielt wurde, als sie die Ofentür hochklappte, sich aufrichtete und mich ansah. Als ich ihr Gesicht sah, fiel der Zorn von mir ab. Er zersplitterte auf dem Boden in zahllose Scherben, und zurück blieb nichts als nackte Angst. Die gleiche Angst, die ich auch in den Augen meiner Mutter sah.
    »Mama …«
    Ich machte einen Schritt auf sie zu, doch im selben Moment schob sich Isabella durch die Küchentür.
    Sie blieb stehen und sah uns beide an. Niemand sagte ein Wort.
    Dann setzte meine Mutter ein breites Lächeln auf. Ihr Lippenstift leuchtete viel zu rot im grellen Küchenlicht. Er war ein bisschen verrutscht, so als hätte sie ihn in aller Eile aufgetragen, statt sich wie sonst an ihren Frisiertisch zu setzen oder sich vor den Spiegel im Flur zu stellen. Eine Haarsträhne hatte sich gelöst, die sie jetzt aus ihrem Gesicht schob.
    »Papa hat den Schlüssel, mein Schatz«, sagte sie. »Zum Keller. Er ist in seinem Schreibtisch.«
    Beim Abendessen unterhielten sich Papa und Issa viel zu laut – über die Universität, über eine neue Vorlesungsreihe, die irgendwer über Dante hielt, und darüber, dass die Alliierten, obwohl sie aus dem Kessel um Salerno ausgebrochen waren und Neapel eingenommen hatten, jetzt wegen des miserablen Wetters im Süden festsaßen. Papa hatte gehört, dass vierhunderttausend Deutsche in Italien stationiert waren. Sie hatten jede Brücke und jede Straße in Neapel zerstört und ihre Rückzugsrouten mit Minen gespickt. Ein beliebter Trick, erzählte er, bestand darin, neue Minen in den Kratern bereits explodierter Minen entlang der zerstörten Straßen zu verstecken, sodass die alliierten Soldaten in Fetzen gerissen wurden, wenn sie bei einem Tieffliegerangriff Deckung suchten.
    Ich fragte ihn nicht, woher er diese Perlen der Weisheit bezog. Ich stellte überhaupt keine Fragen. Stattdessen beobachtete ich schweigend meine Mutter. Sie hingegen sah mich kein einziges Mal an, während wir unser – verdächtig leckeres – Abendessen verzehrten. Es gab Hühnchen, einen unter der Theke gehandelten Leckerbissen vom Metzger unten an der Straße, das irgendjemand entbeint und gebacken hatte.
    Während des Essens rätselte ich, wann Mama oder Issa gelernt hatten, Hühnchen zu braten. Andererseits gab es so vieles, was einem rätselhaft vorkommen konnte, wenn man sich im Raum umsah. Warum sich beispielsweise das Haus verändert hatte, auch wenn ich keine sichtbare Veränderung feststellen konnte. Warum die beiden einen riesigen Topf Kartoffeln gekocht hatten, wo wir doch höchstens eine Kartoffel pro Person aßen. Warum Issa und Papa unablässig redeten, während Mama keinen Mucks von sich gab. Warum ich,

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