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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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lang glitzerte der Schotter auf der Einfahrt. Pallioti sah auf und fragte sich, hinter welchem Fenster wohl Caterinas Zimmer gelegen hatte. Dann fiel es ihm wieder ein. Natürlich, es war auf der anderen Seite des Hauses gewesen. Von ihrem Fenster aus hatte sie über den Garten auf die Stadt geblickt, sie hatte die Berge sehen können und sich ausgemalt, wie ihre Schwester dort unter den Sternen wanderte.
    Er konnte erklären, dass er Polizist war. Behaupten, dass er Ermittlungen durchführte. Seine Finger stahlen sich aus der Tasche, lösten sich aus den tiefen Kaschmirfalten. Der Regen fühlte sich kalt auf seinem Handrücken an, fast so kalt wie der mit Rost besprenkelte Eisenriegel. Das Tor war abgeschlossen.
    Pallioti drehte sich um und ging schnell weg, und seine Schritte hallten hohl über den Asphalt.
    Auf der Via Romano strahlten die Schaufenster hinter dem Muster der Rollgitter hervor. Ein paar Läden hatten noch geöffnet. Der Supermarkt. Die Weingenossenschaft, deren Tafel auf der Straße anzeigte, dass es heute eine Weinprobe gab. In der Apotheke suchte ein kleiner Asiat angestrengt ein Regal mit beschrifteten Schachteln ab, während eine Frau im dunklen Kostüm vor der Theke stand, den tropfenden Regenschirm fest in der Hand, und ihn streng beobachtete. Der Polsterer schloss gerade seine Werkstatt ab. Er zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch, ließ die Schlüssel in die Tasche gleiten, bog in eine kleine Gasse ein und eilte in die Dunkelheit davon. Pallioti ging weiter. Fünf Minuten später stand er vor San Felice. Die schwere Tür war nur angelehnt. Ohne lange nachzudenken, trat er ein.
    Die Kirche war eine von flackernden Kerzen erhellte Höhle. Pallioti schloss die Tür und spürte, wie sich die Kälte gleich einem Mantel über ihn legte. Die feuchte, leicht nach Weihrauch duftende Luft schien seit hundert Jahren nicht bewegt worden zu sein. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Er war nicht der einzige Besucher, in den Kirchenbänken entdeckte er mehrere zusammengekauerte Schatten. Vor ihm schien ein mattes Licht auf den Altar. Neben ihm, gleich hinter dem Taufbecken, flackerten und tanzten die Flammen über einer Reihe von Opferkerzen. Als er eine Münze in den Opferstock warf, hallte das Scheppern wie ein Schuss durch die Kirche. Er wartete kurz ab, bis der Lärm verhallt und erstorben war, dann zündete er mit einem Span eine der Kerzen im roten Glas an und sah auf zu Giottos Kruzifix über dem Hochaltar.
    Das Blattgold auf dem Rahmen leuchtete im Lichtspiel der Kerzen. Es hätte vulgär gewirkt, wären die Winkel in der Umrandung nicht so spröde und scharf gewesen. Das Kruzifix selbst war in tiefem Rotbraun gehalten, der Farbe von Holz oder Blut. Christi Heiligenschein hob sich strahlend davon ab, umrahmte den gesenkten Kopf mit dem kupferfarbenen Haar und schien auf die schmalen, nackten Schultern wie auch auf die gestreckten Sehnen in seinen Armen. Neben seiner rechten Hand war seine weinende Mutter abgebildet. Zu seiner Linken bedeckte einer der Jünger, in einen roten Umhang gehüllt, gepeinigt sein Gesicht. In der Cimasa darüber fütterte ein Pelikan sein Junges. Pallioti hatte irgendwo gelesen, dass es ein Symbol für Christi Opfer an die Welt war.
    Er dachte an Caterina, die sich nicht umzudrehen gewagt hatte, die vor Schaufenstern stehen geblieben und schließlich hierhergekommen war, wo sie sich in eine der klammen Kirchenbänke gesetzt und gespürt hatte, wie ihre Hände und Füße allmählich einfroren.
    Natürlich hatte damals das Kruzifix nicht hier gehangen. Giottos Christus mit dem grauen Teint war bestimmt abgehängt und versteckt worden, so wie alle anderen Kunstschätze in der Stadt. Ein Florenz ohne seine Madonnen und Heiligen war für Pallioti unvorstellbar. Ohne Cherubim. Geister und Engel. Leer wie eine Muschelschale musste sich die Stadt angefühlt haben. Der wahllosen Bosheit der Menschen ausgeliefert.
    In der zweiten Reihe bewegte sich jemand. Einen Moment lang glaubte er, es sei eine Frau. Aber er hatte sich getäuscht. Ein alter Mann rutschte aus der Bank. Er sah nach oben und beugte vor dem großen Goldrahmen das Knie. Giottos Christus hatte die Augen geschlossen. Eine Locke strich über seine Schulter. Der alte Mann drehte sich um und wackelte langsam durch den Mittelgang davon. Er nickte Pallioti zu. Als er die Tür aufzog, brach der Lärm der Stadt herein. Das Tröten einer Hupe, Stimmengeschnatter. Aufgeregt umflatterten die Geräusche

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