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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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wurde.
    »Der Tote ist ein gewisser Roberto Roblino«, fuhr Enzo fort. »Vierundachtzig Jahre alt. Man hat ihm in den Hinterkopf geschossen. Und ihm den Mund mit Salz vollgestopft.«

    1. Dezember 1943
    Ich habe mein Hochzeitskleid weggepackt. Schwer wie ein Leichnam lag es in meinen Armen, als ich es vom Bügel hob.
    Ich wartete, bis Mama ausgegangen war, dann stieg ich auf den Speicher, suchte mir einen alten Koffer und schleppte ihn nach unten. Jetzt ist alles verschwunden – der glatte Satin, die venezianische Spitze, die winzigen Nadelstiche, das strenge Gesicht und das leise Getuschel der Signora und ihrer Mädchen. Zusammen mit Lodovicos Briefen. Und seinem Foto. Ich ertrage seinen Blick nicht mehr.
    Ich habe alles in das Seidenpapier gehüllt, in das meine Aussteuer gepackt wurde. Schließlich nahm ich einen letzten Bogen und breitete ihn so glatt wie möglich über das Kleid. Ich kniff die Kanten fest, damit das Papier möglichst ordentlich und glatt anlag. Danach strich ich immer wieder darüber, ich bügelte es mit der flachen Hand, bis alle noch so kleinen Falten ausgemerzt waren und nicht einmal die kleinste Welle zu sehen war. Zuletzt holte ich die winzigen weißen Satinknöpfe aus meiner Kommodenschublade und verstreute sie wie Blütenknospen auf dem Seidenpapier.

10. Kapitel
    »Fassen Sie noch einmal zusammen, was wir bis jetzt wissen.«
    Pallioti sah aus dem kleinen Flugzeugfenster, während er das sagte. Unter ihnen lag ein Flickenteppich aus matten Grüntönen. Am Horizont verschmolz die weite, graue Adria mit einer Wolkenbank. Es war Montagmorgen kurz nach Sonnenaufgang. Sie waren noch im Dunkeln aus Florenz abgeflogen. In ein paar Minuten würden sie in Brindisi landen. Er und Enzo waren die einzigen Passagiere auf diesem Flug.
    »Roberto Roblino.«
    Enzo brauchte seinen Aktenkoffer nicht zu öffnen oder die Notizen und Ausdrucke zu konsultieren, die ihnen gestern Abend zugefaxt worden waren.
    »Vierundachtzig Jahre alt. Wohnt seit ungefähr fünfzig Jahren in der Gegend. Eine Art örtliche Berühmtheit. Er wurde am Sonntagnachmittag in seinem Garten aufgefunden. Offenbar von seiner Haushälterin, die vorbeikam, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei, nachdem er nicht ans Telefon gegangen war. Die Obduktion ist für heute Vormittag angesetzt, aber der Gerichtsmediziner schätzt, dass er schon seit vierundzwanzig Stunden tot war, als sie ihn fand. Ein einzelner Schuss in den Hinterkopf, und sein Mund war voller Salz.«
    Enzo sah Pallioti an. »Das ist nicht die einzige Parallele«, sagte er dann. »Roberto Roblino war ebenfalls bei den Partisanen. Wurde gleichfalls zum sechzigsten Jahrestag ausgezeichnet. Im Unterschied zu Trantemento hat er gern darüber gesprochen. Immerzu. Er war praktisch der örtliche Kriegsheld.«
    Pallioti nickte. »Was ist mit Ihrem Reporter?«, fragte er.
    Enzo sah ihn verblüfft an. Im ersten Moment verstand er die Frage nicht. Dann sagte er: »Ach ja. Die Neonazis.«
    Das Gespenst der katastrophalen Pressekonferenz, durch die sich Pallioti am Samstagabend gequält hatte, erhob sein Antlitz wie ein blinder Passagier.
    »Hatte er irgendwas für Sie?«
    »Vor ein paar Jahren«, sagte Enzo, »kam es zu ein paar dämlichen Übergriffen. Offenbar war in einer IT-Firma, die auch für eines der Ministerien arbeitete, ein kleiner Hitlerverehrer beschäftigt. Er hackte sich in einige Datenbanken und versuchte, die Pensionszahlungen zu manipulieren, hauptsächlich von jüdischen Überlebenden aus den Vernichtungslagern, aber vermutlich auch von einigen Partisanen. Er wurde erwischt, und man machte dem Spuk ein Ende, bevor wirklicher Schaden entstand. Trotzdem war es eine gute Story, die beste in der Laufbahn unseres kleinen Reporterfreundes, nehme ich an. Und Sie wissen selbst, wie so etwas läuft. Wenn der Funke schon einmal gezündet hat, wieso dann nicht auch ein zweites Mal?«
    »Aber das hat er doch nicht, oder?« Pallioti hatte angestrengt aus dem Fenster geblickt und drehte sich jetzt zu Enzo um.
    »Hat was nicht?«
    »Beim ersten Mal gezündet? Ich kann mich nicht erinnern.«
    Enzo schüttelte den Kopf. »Nein. Die Sache wurde mehr oder weniger unter den Teppich gekehrt. Offenbar griff der Minister ein, bevor die Story veröffentlicht wurde. Die Firma führte interne Ermittlungen durch und klärte angeblich alles auf. Viel mehr gab es nicht zu sagen.« Er zog die Brauen hoch. »Ehrlich gesagt glaube ich, dass es von Anfang an nur ein Gerücht war. Eine Art modernes

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