Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
nur ein Ziel: Keiner sollte überleben, und dann würde der Kaiser die Stadt bestrafen. Sie alle sollten leiden, alle, alle!“
Reginas Stimme war zum Schluss immer lauter geworden. Jetzt schrie sie ihre ganze Wut heraus.
Mit einem Ruck drehte sie sich wieder zu mir. „Jetzt wisst Ihr, warum. Und ja, ich habe geweint, als mein Mann tot in der Gasse gefunden worden war. Es waren Freudentränen!“
Ich schaute sie schweigend an. Was sollte ich auch sagen?
Es war unheimlich, wie schnell Regina von Grevenrath ihre Fassung wiederfand. Sie straffte ihre Schultern und fragte herausfordernd: „Was nun, Konrad von Hohenstade, Vertreter des Kaisers? Was habt Ihr jetzt vor? Mich vor die Schöffen zerren oder sofort in den Runden Turm werfen lassen? Nur zu, ich hab schon alles verloren.“
Ich glaubte ihr. Sie durchlebte seit Jahren ihre ganz eigene Hölle. Eines aber wollte ich noch wissen. „Sagt mir noch: Wie seid Ihr an diesen Mann gekommen, der in Eurem Auftrag gemordet hat?“
„Ach, das war leicht. Ein Kaufmann aus Nürnbe rg hatte einen Kontakt. Ein Brief mit Wünschen, ein Beutel Gold – mehr war nicht nötig. Eine halbe Goldmünze kam nach W ochen zurück. Das war das vereinbarte Zeichen. Der Auftrag war angenommen wor den. Danach musste ich nur noch warten.“
Warten und zuschauen, wie das Morden beginnt, dachte ich schaudernd. Trotz des Kaminfeuers fröstelte ich plötzlich. Der ganze Raum wirkte eiskalt. Hier wollte ich nicht mehr länger bleiben. Ich ging zu ihr hinüber.
„Morgen früh, Regina von Grevenrath, werden Stadtknechte hier erscheinen. Ihr wisst, was Euch erwartet?“
Ihr ausdrucksloses Gesicht schien wie aus Stein, dann nickte sie kurz.
Ich verließ sie – hier gab es nichts mehr zu sagen. In der Rupachergasse schaute ich noch einmal hoch, der Schein des Kaminfeuers flackerte hinter einem der Fenster. Ein Gefühl sagte mir, dass man dieser Frau nicht den Prozess machen würde. Bei ihr würde kein Henker nötig sein.
Ich beeilte mich, weg von diesem Haus zu kommen. Der Rest der Stadt war ruhig und friedlich. Als ich wieder in der Hoftür stand, sah ich Johanna in der Küche den Tisch decken. Das Schachspiel stand aufgebaut im letzten Abendlicht vor meinem Haus. Weiter hinten im Hof übten, den Anfeuerungsrufen nach, Thomas und Heinrich mit ihren Eichenstöcken. Aus Johannas Fenster fiel Lichtschein in einem breiten Streifen auf das Pflaster.
Ich wusste nicht, was die nächsten Wochen bringen würden – aber eines wusste ich:
Ich war zu Hause.
40
„… All die Toten sind in der Stadt begraben worden. Als Letztes starb dann noch plötzlich und völlig unerwartet die Witwe des Ratsherren von Grevenrath, mit dessen Tod alles begonnen hatte. Die Ärmste hat den Verlust wohl nicht verkraftet und sich, wie man vermutet, aus Gram selber das Leben genommen. Ihre Zofe fand sie eines Morgens tot auf, alles deutet darauf hin, dass Regina von Grevenrath Gift genommen hat. Auch wenn unser Herr die Selbsttötung verdammt, werden wir doch für ihre arme Seele beten.
Und das ist auch das Letzte, was ich Euch zu den Ereignissen in Andernach berichten kann. Die Delegationen haben die Stadt wieder verlassen, und es ist Ruhe eingekehrt.
Erlaubt mir am Ende meines Briefes ein Wort in eigener Sache und verzeiht einem alten Mann seine Offenheit:
Es war nicht recht, dass Ihr mich in dem Glauben gelassen hattet, Euer Sohn Konrad sei tot. Konrad lebt, hier in Andernach, und er war es, der – so sagt man – dafür gesorgt hat, dass die Gespräche zwischen den Männern des Kaisers und des Herzogs von Bur gund überhaupt ein gutes Ende fanden. Nun, nur Ihr allein, Euer Gnaden, kennt Eure Gründe. Eure Schwiegertochter und Eure Enkelin, ja, Ihr hattet eine Enkelin, sind lange tot. So bete ich dafür, dass Ihr Euren Zorn überwindet. Ihr könnt stolz auf Konrad sein. Der Kaiser , wie ich gehört habe, ist es jedenfalls.
Möge der Herr über Euch und Eure Familie seine schützende Hand halten und mögt Ihr das nahende Christfest friedlich verleben.
Euer Vater Anselm
Nachwort
Karl der Kühne, Herzog von Burgund, starb am 5. Januar 1477 in der Schlacht von Nancy. Ein Lanzenstoß soll den Herzog bei einem Angriff aus dem Sattel gerissen haben. Er stürzte tödlich verwundet in das eiskalte Wasser eines kleinen Weihers. Seine Männer fanden seinen Leichnam erst Tage später.
Noch im gleichen Jahr ließen die Burgunder Heinrich von Württemberg frei. Er soll sich aber, wie viele Zeitzeugen berichten, von den
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