Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
Luke der Hauptpforte.
Der Mönch vor ihm hatte die Kapuze seiner einfachen Kutte tief ins Gesicht gezogen.
„Kenn ich Euch? Wer seid Ihr?“
Statt einer Antwort reichte der Mönch ihm einen Zettel durch die Luke. Adalberts Augen war nicht mehr die schärfsten, aber in seiner Jugend hatte er im Skriptorium wunderschöne Initialen gezeichnet, und er war – der Herrgott vergebe ihm – insgeheim sehr stolz darauf, sogar Lateinisch, Griechisch und Französisch lesen und schreiben zu können. Auf dem Zettel, den ihm der Bruder übergeben hatte, standen nur wenige Worte. Adalbert entzifferte im Halbdunkel der Klosterpforte „kann kaum sprechen“ und „werd e erwartet“.
Bruder Adalbert erinnerte sich, dass der Guardian Besuch angekündigt hatte. Mit wenigen Handgriffen entriegelte er die Pforte. Der Mönch trat ein, verbeugte sich schweigend und hob die Hand zum Segen.
Adalbert zuckte zusammen, fing sich aber rasch. „Nun, dann werdet Ihr sicher als Erstes zu unserem Guardian Pater Jacob wollen, schätze ich mal. Wartet nur einen Moment!“
Adalbert schloss rasch das Tor und schob die Riegel vor. Er hatte in seinen Jahren weiß Gott viel gesehen, wie aber ein Bruder an eine solch schreckliche Narbe kommen konnte, war ihm ein Rätsel. Denn die hatte er deutlich gesehen, als der Bruder die Hand zum Gruß gehoben hatte. Die scharfgezackte weiße Linie auf dem Handrücken war ihm direkt aufgefallen.
Pater Jacob Damer stützte den Kopf in die Hände. Die Wut des V erzweifelten nagte an ihm. Als junger Mann war er mit Freuden der Lehre des heiligen Franziskus gefolgt. Sein Vater war stolz auf ihn gewesen, hatte er doch als Kaufmann seinen Erstgeborenen ins väterliche Geschäft geholt und ihn, seinen jüngeren Sohn, Jacob, auf die Lateinschule in Trier geschickt. Er durfte sogar Theologie studieren. Nach seiner Priesterweihe trat Jacob in den Minoriten-Orden ein. Seit mehr als 16 Jahren lebte er nun schon im Andernacher Konvent. Zwei Jahre nach seiner Ankunft hatten die Brüder ihn zum ersten Mal zum Guardian, zum Vorsteher des Klosters, gewählt, ihm ihr Vertrauen ausgesprochen. Er hatte sie seitdem nicht enttäuscht. Auch diesmal wollte er sie nicht enttäuschen. Gab es einen Ausweg? Konnte er die Seinen vor dem drohenden Überfall bewahren? Ja, sagte er sich, das alles war nichts anderes als ein Überfall – Abgesandte aus Burgund und die Vertrauten der Habsburger, womöglich sogar sein Erzbischof persönlich ... alle in seinem Kloster. Pater Jacob seufzte. Der Herr prüfte die Seinen auf verschiedene Weise.
Nun, er hatte auch die dreimonatige „Belagerung“ des Konvents durch den Kaiser und sein Gefolge ertragen, hatte dem Kaiser Räume im Kloster zur Verfügung gestellt, miterlebt, wie die Stadtväter für viel Geld eigens eine Küche zur Verpflegung der hohen Herren auf dem Klostergrund errichtet hatten. Das klösterliche Leben seiner Gemeinschaft hatte in dieser Zeit gelitten, keine Frage. Die Ehre, dem Kaiser unter seinem Dach Herber ge zu geben, war teuer bezahlt worden. Ständig störten Abgesandte und Heerführer mit ihren Botschaften die Gebete und Meditationen. Kaum war der eine fortgeritten, begehrte ein anderer an der Pforte Einlass. Dazu kamen noch die Stadträte und Schöffen, die reichen Bürger mit ihren Einladungen und Sitzungen.
Warum nur hatte Kaiser Friedrich damals gerade sein Kloster ausgewählt? Diese Frage hatte er sich in seiner Kammer in den damaligen Wochen mehr als nur einmal gestellt, wenn die geliebte Stille wieder von lautem Gegröle heimkehrender Soldaten zerrissen worden war.
Die Klostergemeinschaft der Minderen Brüder war alles andere als wohlhabend. Gut, in den letzten Jahren hatten etliche Bürger ihnen Geld- oder Getreidestiftungen vermacht, aber all das war nichts im Vergleich zu den Besitztümern anderer Orden. Und hatte nicht der heilige Franz die Armut und Bedürfnislosigkeit gepredigt und vo rgelebt?
Vielleicht aber war das ja der Grund gewesen, warum sich Kaiser Friedrich für die kleine Klostergemeinschaft entschieden hatte. Schließlich musste Pater Jacob ihm eines zugute halten: Friedrich war kein Freund des Prunks, und er verabscheute Saufgelage. Die Klosterküche wies er an, ihm kein Fleisch zuzubereiten. An vielen Tagen fastete der Herrscher sogar und versagte sich außer einem Krug Wasser jegliches Essen. Nicht der Kaiser, sondern sein Gefolge, die übrigen Fürsten, Grafen und ihre Heerführer hatten für Unruhe gesorgt. Und das sollte sich jetzt
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