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Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Titel: Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas J. Schulte
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rüber , statt zum Hafen zu laufen. Ich warte auf dich.“ Bei der Erwähnung des Hafens schaute mich Johanna forschend an. Vor Thomas wollte ich jetzt nicht mit ihr reden. Ich hatte eine Brücke zu ihm gefunden, doch die war noch sehr schmal und baufällig, ein unbedachtes Wort, und sie würde sofort wieder einstürzen. Nein, die Erklärung musste ich auf später verschieben, und sie würde ihr nicht gefallen.
    Johanna zog die Tür zu. Der Riegel fiel für meine Ohren ungewöhnlich laut in den schmiedeeisernen Halter zurück. Ich hörte die beiden über das Basaltpflaster des Hofes laufen. Mit einem Mal wurde mir die Stille bewusst. Der Schmerz kam mit der Stille, hinterhälti g und ohne Vorwarnung. Wie gern hätte ich jetzt Maria umarmt. Mir fehlte ihre Zärtlichkeit , ihre Hände auf meiner Haut. Vielleicht hätte ic h Sophie irgendwann auch einmal beigebracht, wi e man sich am besten wehrt. Vielleicht hätten wir noch einen Sohn bekommen. Zu viele „Vielleichts “ für einen trüben verregneten Vormittag. Ich versuchte, den Schmerz zu verbannen. Es hatte Tag e gegeben, an denen ich es mir leicht gemacht und den Schmerz mit starkem Branntwein betäubt hatte. Die Balken lagen imme r noch neben der Tür – ich musste eine Aufgabe erledigen. Das war besser al s Branntwein.
    Also legte ich die Balken vor mir auf den Fußboden, holte das Werkzeug und breitete es auf der Tischplatte aus. Da saß ich nun, immer noch ohne Idee. Ich sah Maria vor mir, Maria, wie sie mich lächelnd anschaute … der Gedanke brachte mich auf eine Idee. Ich sprang auf und lief zu der großen Truhe. Hatte ich es noch? Tatsächlich. Zwischen ein paar Papierrollen und Büchern fand ich es: ein kleines Säckchen aus weichem Leder. Am Tisch schüttete ich den Inhalt aus. Kleine Holzscheiben fielen heraus. Jede Scheibe mit einer Rune gekennzeichnet. Ein fahrender Händler hatte Maria auf unserer Reise von Köln nach Andernach stundenlang die Bedeutung der Runen erklärt. Sie hatte lächelnd zugehört und ihm am Ende der Reise, kurz bevor Andernach in Sicht kam, ein Ledersäckchen mit Runenzeichen abgekauft.
    Ich suchte nach einer ganz bestimmten Rune. Da war sie – die Algiz-Rune „Y“.
    Bei unseren Vorvätern galt sie auch als Schutzrune, als Verbindung zum Göttlichen, als Rune für Kraft und Wissen.
    Als Verbindung zu Göttlichem, Kraft, W issen, vielleicht sogar als Zeichen für die Neugeburt und Wiederkehr?
    Mit einem Mal wusste ich, wie ich das Holzkreuz schnitzen musste: als Astgabel, als natürlich aussehender Stamm, der Form der Rune folgend. Ein Stück Baum, das als Marterwerkzeug herhalten musste. Keine Verzierung, kein geschnitzter Schmuck, sondern nur Holz, an dem ein Mensch grausam gestorben war. Ein Mensch, der für uns die Verbindung zu Göttlichem ist, dessen Marter zum Zeichen für Kraft, Wissen und Wiederkehr wurde.
    Die Form und die Art des Kreuzes erschien mir mit einem Mal so selbstverständlich, dass ich mich wunderte, warum ich nicht früher darauf gekommen war. Ich lehnte mich zurück. Das mit der Rune behielt ich besser für mich, aber ich musste es ja auch keinem erklären, sondern nur schnitzen.
    Ich nahm die Christusfigur, legte sie auf den Fußboden und begann zu messen. Ja, das könnte gehen. Ich wurde immer zuversichtlicher. Ich markierte die Stellen, an denen die Figur am Holz befestigt werden musste und stellte mir das Ganze bildlich vor. Mit dem Holz würde ich auskommen.
    Ich atmete tief durch und griff nach dem ersten Balken. Zuerst einmal würde ich dem Balken die Form eines Baumstamms geben, das war eine lösbare Aufgabe. Danach könnte ich dann die einzelnen Balken mit Zapfen und Nuten verbinden.
    Ich setzte das Schnitzmesser an. Mit einer gleitenden Bewegung schnitt ich den ersten breiten Holzspan ab. Der rollte sich am Ende auf und fiel lautlos zu Boden. Ein erster Span, der Anfang war gemacht. Es war ein gutes Gefühl.
    Keiner wusste am Ende, wie es passieren konnte, dass man Bruder Nolden erst so spät tot in seiner Kammer fand. Hans, einer der drei Novizen des Konvents, hatte beim nächtlichen Wecken an Noldens Tür geklopft. Als er keine Antwort erhielt, nahm er an, dass Nolden bereits aufgestanden sei. Ungewöhnlich war das nicht. Der Apotheker war bekannt dafür, dass er zu den undenkbarsten Zeiten auf den Beinen war, um bei Mondlicht Kräuter zu ernten oder eine seiner übelriechenden Tinkturen zu kochen.
    Sogar als die Mönche während der Laudes die Bußpsalme des Miserere anstimmten, war

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