Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
stand er, mittlerweile in einer Wasserpfütze, ganz in der Nähe der Tür. Na, das würde nicht einfach werden. Aber immerhin hatte ich ihn schon einmal aus dem Regen raus. „Also kein zweites Frühstück, aber setzen kannst du dich sicher, oder? Und auch wenn du etwas anderes gehört haben solltest, ich fresse nur ganz selten Kinder.“
Ein zweites Lächeln, zumindest eine Spur davon. Thomas kam näher und setzte sich an den T isch. Neugierig blickte er sich um. Kurz zuckte er zusammen, als er die geschnitzte blutbesudelte Christusfigur in der Ecke sah. „Biste jetzt Schnitzer geworden?“ An seiner Stimme konnte man hören, dass er auf dem Scheidepunkt vom Kind zum jungen Mann stand. Ein tiefer Anfang, der am Ende noch knabenhaft hoch klang.
„Du kennst doch Pastor Heinrich – würdest du ihm einen Wunsch abschlagen?“
Thomas kannte Pastor Heinrich natürlich und nickte nur ernst – diesmal ohne Lächeln oder Grinsen. Heinrich – der Pastor mit einem Ruf wie Donnerhall.
Ich schaute Thomas an, in dem zu großen Hemd sah er verloren aus.
„Warum treibst du dich immer am Hafen rum, solltest du nicht deiner Mutter helfen?“ Was für eine Frage, um ein Gespräch anzufangen.
Thomas’ Gesichtsausdruck wurde abweisend, er rutschte auf dem Stuhl herum, als wolle er sofort wieder in den Regen hinaus. Besser nass, als verhört werden.
„Entschuldige die Frage“, bat ich ihn schnell. „Es geht mich auch nichts an.“
Thomas sah mich erstaunt an. Wer weiß, wann sich das letzte Mal ein Erwachsener bei ihm entschuldigt hatte.
„Ich kann mit Händlern feilschen und sogar meinen Namen schreiben. Am Hafen verdiene ich Geld. Gregor sagt, wer Geld hat, den achtet jeder“, erklärte mir Thomas mit der Inbrunst der Überzeugung.
„Und deshalb willst du möglichst schnell Geld verdienen?“
Thomas nickte heftig. „Ich kan n dir alles besorgen: Wein, Essen, oder “ – Thomas beugte sich verschwörerisch zu mi r herüber – „eine Frau für ein paar Stunden. Mich kennt jeder und ich kenne sie alle.“
Oh Gott, mir saß der jüngste Kuppler des Rheinlandes gegen über!
Bislang hatte ich gedacht, ihn treibe die Abenteuerlust zum Hafen. Da lag ich ja wohl völlig daneben.
„Thomas, du weißt, was die Stadtknechte mit Dirnen und ihren Kupplern tun?“
Meine Frage schien Thomas nicht zu stören, im Gegenteil – Trotz und Unsicherheit waren verschwunden, hier kannte er sich aus. Er grinste mich an: „Was sollen die schon tun? Ein paar von denen besuchen selbst Dirnen, und bevor mich einer verpfeift und ich an den Pranger müsste, würde der Besuch von Freunden kriegen. Wir am Hafen halten nämlich alle zusammen.“
Er verkuppelte nicht nur , er kannte auch Schläger. Irgendwie hatte ich mir unser Gespräch anders vorgestellt.
„Aber meinst du nicht, dass du noch ein wenig zu jung für das alles bist?“
Thomas schien die Frage gleichermaßen zu erstaunen und zu amüsieren.
„Ich kann auf mich selber aufpassen – na, los steh auf!“ Thomas klang jetzt sehr selbstsicher . Ich war neugierig, was er mir beweisen wollte. Also gehorchte ich und stand auf. Thomas stellte sich neben den Tisch. „Na komm schon, greif mich an!“
„Hör mal, Thomas, ich weiß nicht, was du mir zeigen willst. Wie, bitte, soll ich dich angreifen?“
Thomas klang ungeduldig. „Du bist doch ein Mann, komm schon, versuch es – greif nach mir.“
Nun gut, er sollte seinen W illen haben. Ich trat einen Schritt vor und streckte die Hand nach ihm aus. Thomas duckte sich kurz, fasste in seinen Stiefel und hielt einen Augenblick später ein schlankes, spitzes Messer in der Hand, machte einen Ausfallschritt und stach zu. Wahrscheinlich hätte er noch rechtzeitig innegehalten. Als aber der schlanke Stahl der Messerklinge in meine Richtung zuckte, reagierte ich. Das hier war kein Spiel mehr, das war eine scharfe Klinge, die in gerade Linie auf meinen Bauch zuraste. Ich machte einen kleinen Schritt nach rechts, drehte den Oberkörper zur Seite und bot so ein schmaleres Ziel. In der gleichen Bewegung stieß ich beide Hände nach vorne, traf Thomas’ Handgelenk und lenkte seinen Messerarm zur Seite. Meine linke Hand umschloss sein Handgelenk, zog ihn mit einem Ruck aus dem Gleichgewicht und bog seinen Arm nach unten. Mit der rechten Hand schlug ich von oben auf den Messerknauf, sodass die Waffe nach vorne auf den Boden fiel. Gleichzeitig hakte ich meinen rechten Fuß hinter seine Füße. Mit einem kräftigen Ruck zog ich ihm die
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