Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
aufmerksam beobachteten, der Reihe nach an.
„Bruder Nolden hatte ein schwaches Herz. Möglicherweise lagen auch sein e Körpersäfte im Ungleichgewicht: die starren Augen, der Krampf im Brustkorb. Es gibt überhaupt keinen Zweifel , dass Bruder Noldens Herz zu schwach war. Gott sei seiner Seele gnädig!“
Die Mönche atmeten auf.
„Wäre ich doch nur ein paar Tage früher gekommen.“ Man hörte Bruder Georgs Stimme immer noch die Heiserkeit an, auch wenn er sich redlich bemühte, laut zu sprechen.
„Vielleicht hätte ich mit etwas Terpentinöl und Bilsenkraut einem solchen Krampf des Herzens begegnen können – doch der Herr , der Allmächtige, wollte es anders.“
Die Mönche nickten, auch wenn keiner von ihnen sich vorstellen konnte, wie eine Behandlung mit Bilsenkraut und Öl ausgesehen hätte.
„Doch wer kann schon sagen, ob meine Mühe Erfolg gehabt hätte, denn wie heißt es“, fuhr Bruder Geor g fort, „contra vim mortis non est medicamen in hortis. Gegen die Gewalt des Todes gibt es kein Heilmittel im Garten.“
Wohl aber blauen Eisenhut, der, als Pulver unter das Essen gemischt, seine Wirkung nie verfehlt, dachte der Meister zufrieden und senkte den Kopf zu einem stillen Gebet für den Toten.
Für Pater Jacob war Bruder Georg ein Geschenk des Herrn. Nachdem Geo rg so eindrucksvoll die Ursache für das Ableben des guten Nolden erkannt hatte, bat Pater Jacob ihn im Namen aller Brüder, zumindest für die Zeit seines Bleibens in Andernach Noldens Stelle einzunehmen. Bruder Georg hatte demütig den Kopf gesenkt und der Bitte entsprochen.
So kam es, dass noch am selben Abend Hans und zwei weitere Novizen mit Putzeimern bewaffnet Noldens Kammer säuberten, in einer Schale Kräuter gegen den Gestank verbrannten und das Bettzeug tauschten. Alles für Bruder Geo rg, ihren neuen Medicus, der in diese Kammer einziehen würde.
14
Ich erkannte schon an ihrer Art zu klopfen, dass Johanna vor der Tür stand. Sie pochte energisch, machte zwischendurch aber immer ein paar Pausen, so als zögere sie noch, unsicher, ob es richtig sei, hier vor der Tür ihres Mieters zu stehen.
Ich hatte gerade mein Abendessen beendet, die Holzspäne weggefegt und den Tisch abgeräumt – und auf sie gewartet. Ja, mehr noch – ich freute mich darauf, sie heute Abend noch einmal zu sehen. Auch wenn dies sicher kein leichtes Gespräch werden würde.
„Kommt rein, die Tür ist nicht verriegelt.“
Johanna betrat etwas zögerlich den Raum. Heute Nachmittag hatte sie noch auf fordernd in der Tür gestanden. Jetzt aber war das Abendläuten längst verklungen. Sie wusste selber, dass es für eine Frau ungewöhnlich war, um diese Zeit noch einen Mann zu besuchen. Manch einer würde darüber mehr als nur die Stirn runzeln.
Im Schei n der Laterne und der Kerzen, die im Raum brannten, wirkte sie plötzlich viel weniger ene rgisch. Sie trug ihr Haar offen unter der Haube. Es schimmerte, das war mir vorher nie aufgefallen.
„Woher wusstet Ihr, dass ich es bin?“, fragte sie, während ich aufstand und einen Stuhl zurechtrückte.
„Setzt Euch doch bitte. Sagen wir einfach, dass ich so eine Ahnung hatte.“
Johanna setzte sich. Anders als bei unserem letzten Gespräch über Gregor wusste sie diesmal offenbar nicht, wie sie beginnen sollte. Mir selbst gef iel das Thema auch nicht, aber ich hatte beim Schnitzen Zeit zum Nachdenken gehabt.
„Johanna“, begann ich, „ich weiß, Ihr macht Euch Sorgen um Thomas, weil er sich den ganzen Tag unten am Hafen herumtreibt. Zuerst hielt ich das nur für die Abenteuerlust eines Zwölfjährigen.“
„Was soll es denn auch sonst sein?“, unterbrach mich Johanna. „Gregor hat seinen Spaß daran. Manchmal glaube ich, es verschafft ihm Genugtuung, dass Thomas mehr auf ihn als auf mich hört.“
Ich holte einmal tief Luft: „Gregor war nur der Anfang. Es wird nicht mehr lange dauern, und Thomas wird in irgendeinem Winkel, in irgendeiner schmierigen Gasse enden. Er hat mir heute Dirnen angeboten und mit ein paar Hafenschlägern geprahlt.“
„Das glaub’ ich nicht!“ Johanna war aufgesprungen. Die Empörung ließ ihre Stimme zittern. „Was redet Ihr denn da? Wie könnt Ihr es wagen! Wollt Ihr etwa behaupten, dass ich mich nicht genug um meinen Sohn kümmere?“
„Johanna, hört mir doch einen Augenblick zu! So habe ich das sicher nicht gemeint.“
„So, habt Ihr nicht? Wie denn dann?“ Der Racheengel des Herrn hätte nicht wütender aussehen können, als sie jetzt vor mir stand.
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