Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
damit zufrieden.
„ Wenn ihr jetzt fertig seid mit tuscheln, könnte ich hier meine christliche Pflicht tun“, brummte Heinrich in unserem Rücken.
Wir traten ein paar Schritte beiseite. Heinrich kniete sich neben den Toten, unbeeindruckt von den Verletzungen und dem Blut.
„Na, da hab ich doch schon Schlimmeres gesehen“, sagte er leise zu sich selbst, bevor er ein Kreuzzeichen schlug und mit gesenktem Kopf betete. Anschließend grif f er in seine Tasche und holte ein kleines Fläschchen mit Öl hervor. Er brummte ungehalten, als ihm klar wurde, dass der Tote keine Stirn mehr für die letzte Salbung hatte. „Der Herrgott wird es schon merken“, murmelte er resigniert und zeichnete ein Kreuz auf die bloße Brust des Toten, sorgsam darauf bedacht, nicht in die Nähe der Wunde zu kommen.
Nachdem er seine Pflicht als Priester erfüllt hatte, erhob er sich und kam zu uns herüber: „Ihr wisst, dass wir einen Boten ins Kloster schicken müssten?“
„Du weißt aber auch, was dann passiert?“, lautete Jupps Gegenfrage.
„Sicher“, antwortete Heinrich, “und das wird keinem hier in der Stadt gefallen. Was haltet ihr davon, wenn wir den Toten erst einmal in den Keller des Pfarrhauses schaffen, bevor wir nachdenken, was zu tun ist? Wenn wir Glück haben, wird unser toter burgundischer Freund hier noch gar nicht vermisst.“
„Ein gute Idee“, lobte Jupp und wandte sich den Stadtknechten zu, um ihnen die entsprechenden Anweisungen zu geben. Einer von ihnen lief los und kehrte kurze Zeit später mit einem großen Leinensack zurück. Den Sack als Trage nutzend, schleppten die Stadtknechte den Toten zur Stadtmauer. Heinrich ging hinter ihnen her, um den Pfarrhaus-Keller aufzuschließen. „Ich will euch beide gleich noch mal sehen!“, wies er uns zum Abschied an.
Jupp und ich sahen uns noch ein letztes Mal um, doch hier gab es keine weiteren Spuren mehr. Also traten auch wir den Rückweg an. Die ganze Zeit über hielt ich das Stück Papier umklammert. Es brannte wie Feuer in meiner Faust.
Heinrich hatte bereits ein Feuer im Ofen angezündet. Brot und kalter Braten standen auf dem Tisch.
„Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich krieg immer Hunger, wenn ich nachts noch raus muss“, erklärte er uns und schnitt sich eine Scheibe Brot ab. Auch Jupp griff zu, ich aber hatte immer noch das Bild des Toten vor Augen, und das verdarb mir jeden Hunger. Zwischen zwei Bissen fasste Heinrich unsere Lage zusammen: „Was wissen wir? Wir haben einen toten Kammerdiener, wahrscheinlich sogar Leibwächter, aus der Delegation Burgunds mit zerquetschtem Schädel und einem Armbrustbolzen in der Brust.“
Unser Pastor war beim Betrachten der Leiche also zu dem gleichen Schluss wie ich gekommen. Jupp und ich nickten zustimmend. Heinrich fuhr fort: „Letztlich ist er ein persönlicher Vertreter des Herzogs von Burgund. Von einem Unfall kann bei seinem Tod keine Rede sein. Hat er sich innerhalb von zwei Tagen in Andernach Feinde gemacht? Wohl kaum! Hat er sich mit einer Hure im Hafen treffen wollen und kam es dabei zum Streit? Sicherlich auch nicht, zumal keine Dirne den Mühlstein hätte bewegen können. Und – na, wir kennen doch alle die Damen, die in unserer Stadt ihre Liebe verkaufen. Die haben schon mal ein Messer dabei, aber bestimmt keine Armbrust mit Giftbolzen. Es war kein Raubmord. Ein Räuber hätte als erstes die kostbaren Waffen an sich genommen. Und dass er sich selbst in die Brust geschossen, die Waffe von sich geschleudert und anschließend seinen Kopf unter einen rollenden Mühlstein gelegt haben könnte, schließen wir ja wohl auch aus.“
Heinrich blickte uns an, zufrieden mit seinen Beobachtungen. Ich war gespannt, ob er jetzt auch die richtigen Schlüsse ziehen würde.
„Was bleibt uns demnach?“ Heinrich zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab:
„Primus: Der Ritter ließ seinen Mörder so dicht an sich heran, dass er erschossen werden konnte. Secundus: Der Mörder hat seine Tat geplant. Keiner trägt schließlich eine gespannte Armbrust mit Giftbolzen nur so mit sich herum.
Tertius: Schon Cicero fragte ‚Cui bono?‘ Wem nützt die Tat? Und hier bin ich, muss ich euch gestehen, mit meiner Weisheit am Ende.“
Heinrichs Gedanken waren schlüssig, aber es gab noch mehr zu bedenken.
„Du hast mit allem Recht, bis auf eine Sache“, erklärte ich. „Du sagst, der Tote hätte keine Feinde. Das stimmt nicht. Er hatte mindestens einen – seinen Mörder. Denn es war sicher keine
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