Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
geredet und du hast gedacht: Lass den alten Heinrich reden. Unterschätze jedoch nie deinen Gegner. Das ist die dritte Regel im Kampf, die du … Mist verdammter!“
Dem Fluch von Heinrich folgte ein dumpfer Schlag. Johanna schaute mich bestürzt an.
„Kommt, alter Mann, ich helfe Euch hoch. Ich denke, die dritte Regel habe ich verstanden“, tönte da Thomas hellere Stimme über die Mauer – und sie klang sehr zufrieden. „Man sollte einen Knaben am Boden, der einem mit einem Eichenknüppel die Füße wegziehen kann, nie unterschätzen. Die dritte Regel, Herr Pastor .“
Ich drückte die Eichentür auf, die nicht verriegelt war. Anklopfen lohnte wohl kaum. Wir gingen die wenigen Schritte durch das Halbdunkel des Flures und betraten den Pfarrhof. Wie ich schon vermutet hatte, stand Thomas auf seinen Eichenknüppel gestützt und grinste triumphierend. Heinrich dagegen saß auf dem Boden und rieb sich den Hinterkopf. „T eufelsfuß und Höllenschlund, jetzt gibt es auch noch Zeugen dafür, dass mich ein Knabe von den Beinen geholt hat.“
Heinrich fluchte still vor sich hin, aber ich sah ihm auch die Genugtuung darüber an, dass Thomas seine Lektionen begriffen hatte. Heinrich rappelte sich wieder hoch, klopfte sich den Staub ab und lächelte Johanna an.
„Johanna, dein Lausebengel macht sich großartig. Man sollte das dem Kerl allerdings nicht zu oft sagen, sonst wird er übermütig, wie ein junges Fohlen im Frühling.“
Zu mir gewandt fragte Heinrich: „Und, Konrad, was treibt dich in die Arme deines Hirten? Was macht mein Kreuz?“
„Ein paar Tage noch, dann kannst du es wieder stolz durch die Gassen schleppen“, antwortete ich ihm. „Ich hatte gehofft, ich könnte dich zu einer Partie Schach überreden, natürlich nur, wenn du genug davon hast, dass dich Zwölfjährige verprügeln.“
„Ha, verprügeln, ich geb dir gleich Verprügeln, pass bloß auf.“
Zu meinem Glück beließ es Heinrich bei der Drohung. Thomas und Johanna verabschiedeten sich von uns. Heinrich führte mich ins Pfarrhaus. Das eine Mal, als ich ihn mit Thomas besucht hatte, waren mir ein paar Türen rechts und links von Gang zum Innenhof aufgefallen. Heinrich öffnete nun eine dieser Türen, und wir betraten einen kleinen, gemütlichen Raum. Auf einem Lesepult lag eine große Bibel aufgeschlagen. An der Wand hingen Zeichnungen von Katapulten und sonderbar anmutenden Waffen und Geschützen. Heinrich folgte meinem Blick.
„Ich weiß, ein merkwürdiger Wandschmuck für einen Pfaffen. Aber ich habe sie damals in Italien einem blutjungen Maler abge kauft. Hat übrigens alle Hinweise immer in einer Geheimschrift verfasst und in Spiegelschrift notiert. Einmal konnte ich sogar ein Gemälde von ihm sehen: die Taufe Christi. Ich sag dir, dieser Mann ist ein Genie. Wie jemand so schöne Bilder malen und gleichzeitig neue Wa ffen erfinden kann, ist mir schleierhaft. Na, jedenfalls waren die Skizzen da billiger als seine Gemälde.“
Ich schaute mich weiter um, während Heinrich aus einer Truhe das Schachspiel holte und damit begann, die Figuren aufzustellen. Ein Ofen in der Ecke des Raumes sorgte im Winter für Wärme. Der Fußboden aus gebrannten Kacheln war mit alten Wollläufern belegt. Eine gepolsterte Bank und die Truhe, aus der Heinrich das Spiel geholt hatte, standen auf der einen Seite des Raumes, ein kleiner Tisch und zwei tiefe Sessel auf der anderen. Das Lesepult hatte Heinrich so zurechtgerückt, dass die Morgensonne durch das Bogenfenster für genügend Licht zum Lesen sorgte.
„Setz dich schon mal. Ich hol uns noch schnell etwa s zu trinken.“
Ich nahm in einem der Sessel Platz, schaute auf die Schachfiguren und nahm mir vor, Heinrich diesmal Paroli zu bieten.
Keine zwei Stunden später legte Heinrich bereits zum zweiten Mal meinen König um: „Und wieder Schachmatt, mein Liebe r. Ich muss aber zugeben, diesmal war es schon schwerer, dich zu besiegen. Es wird doch langsam.“
„Verloren ist verloren, oder was hast du heute Thomas beigebracht: Kämpfe, um zu siegen! Aber warte nur, ich kenn jetzt deine Spielweise. Außerdem fallen mir nach und nach wieder ein paar Spielzüge von früher ein.“
„Jetzt machst du mir Angst, Konrad, da überleg ich ja gleich zweimal, ob ich noch eine weitere Partie wagen soll, wo doch schon die ersten beiden wirklich lange gedauert haben.“
„Spar dir den Atem. Statt den Verlierer zu verhöhnen, solltest du besser wachsam sein. Noch mal werde ich es dir nicht so leicht machen“,
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