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Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Titel: Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas J. Schulte
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überhaupt richtig begonnen hatten.
    „Jetzt träum nicht, Junge, sondern sag mir endlich, wie ich dir weiterhelfen kann!“ Anselms Ermahnung riss mich aus meinen Gedanken.
    Seine Stimme klang so vertraut wie damals, als er am Hof meines Vaters meinen älteren Bruder Albert und mich unterrichtet hatte. Vater Anselm mochte alt geworden sein, seine Neugierde und sein Durchsetzungsvermögen aber waren geblieben. Ich war froh, ihn hier im Kloster an meiner Seite zu wissen und nicht irgendeinem Schreiber meine Wünsche weitergeben zu müssen.
    „Ich benötige zwei Dinge: zum einen die Gästelisten des Gasthofes ‚Zum Hirsch‘ aus dem letzten Monat. Zum anderen würde ich gerne die Unterlagen sehen, die aus der Zeit des damaligen Besuchs Friedrichs in Andernach hier noch vorhanden sind. Am liebsten alles, was ihr habt: Abschriften von Urkunden, Kopien von Briefen, Protokollen, Notizen.“
    Anselm nickte: „Das wird sicher möglich sein, aber wenig ist es nicht. Friedrich war in den drei Monaten in Andernach nicht untätig. Natürlich haben wir Kopien der Briefe, die unsere Schreiber aufgesetzt haben, selbstverständlich immer nur mit Erlaubnis desjenigen, der den Brief diktiert hat.“
    Ich ahnte, dass ich eine Menge zu lesen bekäme, aber es war ein Strohhalm, an den ich mich klammerte. Irgendwo musste ich den Faden aufnehmen. Täte ich es nicht, würden die Verhandlungen in einer Katastrophe enden. „Es ist viel verlangt, aber glaubt Ihr, ich könnte die Unterlagen morgen früh mitnehmen?“ Anselm lachte: „Mein lieber Konrad, ein alter Mann wie ich braucht nur wenig Schlaf, und ein paar unserer Novizen werden auf ihre Nachtruhe verzichten müssen. Du sollst alles bekommen. Jetzt aber entschuldige mich, ich will lieber gleich beginnen. Die Nacht ist kurz.“ Ich verließ mit Anselm die Bibliothek, und während er verschwand, um ein paar Mitbrüdern das Schlafen zu verbieten, ging ich langsam durch den Kreuzgang zurück in meine Klosterzelle. Um mich herum war alles still und friedlich, draußen vor der Klostermauer schrie ein Käuzchen in der Abenddämmerung. Ich konnte Vater Anselm und seine Mitbrüder verstehen – dieses Kloster bot Schutz und Frieden, die Welt vor den Klostermauern war in diesem Moment in weite Ferne gerückt. Ich musste an meine Familie denken. Würde ich sie je wiedersehen? Vor dem Gespräch mit Anselm hatte ich darüber wenig nachgedacht. Doch jetzt war er zu einer Brücke in meine Vergangenheit geworden, ein Steg, der mein früheres Leben mit dem Hier und Jetzt verband. Ich hatte so viele Fragen und so wenige Antworten. Aber eines war sicher: Konrad, der Schnitzer, konnte die Morde in Andernach nicht lösen. Der Konrad der letzten Monate würde nicht wieder zurückkehren.

27
    Am Morgen war er mit einem flauen Gefühl im Bauch in den Versammlungssaal gekommen. Warum rebellierte sein Magen wohl? Nicht einmal den morgendlichen Hirsebrei hatte er vertragen. Pater Jacob wusste es nicht. Dabei schien endlich alles so zu sein, wie er es sich erhofft hatte. Gernot von Württemberg saß bereits am Tisch. Johann von Brandenburg scherzte mit einem seiner Sekretäre und bediente sich dabei großzügig vom Honigkuchen. Natürlich hatte auch heute früh wieder die Klosterküche die Seitentische mit Backwerk und Obst vollgeladen. Von den Mengen, die hier jeden Tag aufgetischt wurden, konnten seine Brüder eine ganze Woche leben, überlegte Pater Jacob bei sich. Wie gut, dass die Stadtkasse die Kosten übernahm.
    „ Wenn Ihr erlaubt, Exzellenz“, wandte sich Pater Jacob an Ge rnot von Württemberg, „dann möchte ich Euch darum bitten, heute ein wenig christliche Demut und Zurückhaltung zu üben.“
    Gernot von Württemberg blickte den Vorsteher des Klosters überrascht an. Was erlaubte sich das Mönchlein da? Doch dann sah er den Blick, den Johann von Brandenbu rg ihm durch den Raum hinweg zuwarf, und er dachte an das hitzige Gespräch gestern Abend. Johann hatte ihm vorgeworfen, den Kopf verloren zu haben, und das wäre der Sache nicht dienlich. Persönliche Gefühle oder gar Rachegelüste mussten hintenanstehen. Johann war zwar sechs Jahre jünger als er, aber oft schien es ihm, als wäre sein Gefährte Jahrzehnte älte r. Immerhin war Johann Cicero von Brandenburg – seinen Beinamen hatte er aufgrund seiner Beredsamkeit erhalten – seit gut drei Jahren Regent der Mark Brandenburg. Die Aufgabe lag dem jungen Ritter. Er war der Besonnenere von beiden, da gab es für Gernot keinen Zweifel.

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