Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
aber mein Gefühl sagte mir, dass er immer noch in der Stadt war. Blieb nur die Frage, wo er in den letzten sechzehn Tagen untergekommen war. Wo war dieser Kaufmann untergetaucht?
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„Was heißt, Ihr könnt Jacques de Brev nicht finden? Ist das hier London oder Paris? Nein, zum Donnerwetter, wir sind in einem kleinen, erbärmlichen Kaff am Rhein gestrandet. So klein, dass man zu Fuß in nur einer Viertelstunde außen um die Stadtmauer herumlaufen kann. Und Ihr wollt uns erklären, unser Diener und unser persönlicher Gefährte sei nicht zu finden!“
Philipp von Burgunds Wutausbruch ließ alle im Raum zusammenzucken. Der junge Bur gunder hatte ganz offensichtlich das Temperament seines Vaters geerbt. Hilfe heischend schaute Jacob Damer die übrigen drei Männer an, die mit ihm zusammen versuchten, die Vertreter Burgunds zu beruhigen. Gelungen war ihnen das bislang nicht. Der Bürgermeister Emerich von Lanstein schaute verlegen auf seine Stiefelspitzen und fragte sich zum wiederholten Male, warum gerade er sich von so einem jungen burgundischen Schnösel anschreien lassen musste. Weil sein Onkel einer der mächtigsten Herrscher des Abendlandes war, so einfach war das. Johann Schudienst, einer der Schöffen, sah genauso unbehaglich aus, nur zuckte er auch noch bei jedem Satz Philipps sichtlich zusammen. Der einzige, der beinah entspannt aussah, war der Stadtknecht Josef Schmittges, stellte Pater Jacob fest. Schmittges war zwar in Begleitung der beiden Stadtvertreter ins Kloster gekommen, hielt sich jetzt aber bescheiden im Hintergrund. Da keiner der Andernacher irgendetwas erwiderte, ergriff Philipp erneut das Wort: „Wir verlangen, versteht Ihr, wir verlangen, dass jede stinkende Gasse und jedes Haus in dieser Stadt noch einmal durchsucht wird, und gnade Gott dieser Stadt, wenn unserem Gefährten etwas zugestoßen sein sollte. Bedenkt, dass Jacques de Brev gestern Nacht in meinem Auftrag unterwegs war. Sollte er bis mo rgen zum Mittagsläuten nicht wieder wohlbehalten unter uns weilen, verstehen wir dies als einen Angriff auf das Haus Burgund.“
Philipp von Burgund drehte sich um und verließ den Raum. Die Tür fiel schwer hinter ihm ins Schloss.
„Bis morgen Mittag! Na, das hat ja gut geklappt!“ Entgeistert drehten sich Emerich von Lanstein, Johann Schudienst und Pater Jacob um und starrten Josef Schmittges sprachlos an. Der zuckte nur mit den Schultern und murmelte entschuldigend: „Na ja, ich meine, es könnte doch schlimmer sein.“
Pater Jacob griff statt einer Antwort zu einem der Weinkrüge, verzichtete auf einen Becher und nahm einen großzügigen Schluck. Es war ihm egal, was die Stadtherren jetzt von ihm dachten. Es war ihm sogar egal, ob er gerade seinen hohen Gästen den Wein wegsoff. Pater Jacob wusste nur eines: Hier in seinem Kloster musste ein Wunder geschehen, damit es nicht als der Ort in die Annalen der Geschichte einging, an dem der Krieg zwischen Habsburg und dem Herzogtum Burgund seinen Anfang genommen hatte. Und wenn man mal ehrlich war: Wunder hatte es in Andernach bislang noch keine gegeben.
Er wandte sich ab, ohne sich weiter um die beiden Stadtherren zu kümmern. Den Krug nahm er einfachheitshalber gleich mit. Pater Jacob hatte zum ersten Mal in seinem Leben das Bedürfnis, sich zu betrinken. Mit schweren Schritten ging er den Kreuzgang entlang. Bruder Georg kam ihm entgegen, aber er übersah ihn und seinen Gruß. Hinter sich hörte er, wie sein Name gerufen wurde. Josef Schmittges schloss zu ihm auf. „Sagt, Pater Jacob, meint Ihr, da wäre auch noch ein Schluck für mich drin? Und wenn wir schon trinken, könntet Ihr mir erzählen, was heute Morgen passiert ist?“
Warum eigentlich nicht, dachte Pater Jacob und als sie in seinem Zimmer saßen, die Becher randvoll mit Moselwein, begann er mit seinem Bericht.
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Die Zeit lief mir davon. Wie hatten Anton und Philipp von Burgund darauf reagiert, dass ihr Gefährte spurlos verschwunden war? Hatten sie sein Verschwinden überhaupt schon bemerkt? Hatten Jupp oder Heinrich es geschafft, noch etwas Zeit herauszuschlagen? Die Fragen machten mich ganz ungeduldig. Ich hatte einfach nicht mehr die Ruhe, alle Unterlagen von Vater Anselm durchzuschauen – das würde warten müssen. Bei früheren Aufträgen hatte ich gelernt, auf meinen Instinkt zu hören. Zwei Jahre als Ehemann und Vater, das halbe Jahr der Trauer – die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen, aber ich wusste, auf mein Bauchgefühl konnte ich mich verlassen. Und mein
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