Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
müssen diese Familien auf unsere Seite bringen.»
«Ich werde mein Bestes tun. Weißt du mehr über Melika?»
«Nein. Im Prinzip weiß ich nichts. Du bist also sehr wichtig für mich.»
Er versuchte, dabei so freundlich wie möglich auszusehen. Ihr das Gefühl zu geben, dass er dankbar war. Hoffentlich wirkte es nicht übertrieben.
«Wie gesagt, ich werde mein Bestes tun», meinte sie.
Die Ampel wurde grün, und sie rollten einige wenige Meter weiter.
Lennart hatte schon wieder Lust auf den nächsten Kaugummi.
«Hallo, wir sind hier, um Shibeka zu treffen. Ich heiße Lennart, und das ist Linda», sagte Lennart mit einem einnehmenden Lächeln zu dem etwa fünfzehnjährigen Jungen, der ihnen schon nach dem ersten Klingeln die Tür öffnete. Der Junge nickte, jedoch ohne das Lächeln zu erwidern. Er trug blaue Jeans und ein schwarzes Hemd und hatte kurzes, ordentlich gekämmtes Haar. Es sah aus, als hätte er sich für den Anlass schick gemacht. Er musterte sie kurz und ein wenig misstrauisch.
«Ich bin Mehran Khan. Kommen Sie herein.»
Damit schob er die Tür weiter auf, und sie betraten den geräumigen Flur. Die Wohnung war sehr sauber, und es roch nach Putzmittel. An den Wänden hingen Familienporträts, zum Teil mit Shibeka, und Webteppiche mit Goldfäden. Die Wohnung war eine interessante Mischung aus geradlinigem schwedischem Wohndesign und exotischen Farben, die für Abwechslung sorgten.
Mehran zeigte ihnen schweigend, wo sie ihre Jacken aufhängen konnten. Lennart sah Shibeka im Wohnzimmer warten, sie saß ganz vorn an der Kante eines großen grauen Sofas und trug ein schwarzes Kopftuch, das das gesamte Haar bedeckte. Lennart konnte einen Blick auf eine weitere Frau mit Kopftuch erhaschen, die ihr gegenüber in einem Sessel saß und das Gesicht abgewandt hatte. Vermutlich Melika. Lennart winkte Shibeka zu, doch sie sah hastig weg. Stattdessen bedachte Mehran ihn mit einem herausfordernden Blick, der alles verriet. Jetzt war er in ihrem Zuhause. Und hier galten ihre Regeln. Lennart kam sich dämlich vor. Er war hier, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Da konnte er nicht einfach hereinplatzen, als wäre er zu Besuch bei alten Bekannten.
«Sie können so lange dort drinnen Platz nehmen, während wir reden», sagte der Junge trocken zu ihm und wies auf die helle Küche, die neben dem Wohnzimmer lag.
Er mag mich nicht, dachte Lennart. Kein bisschen.
Ihm wurde klar, dass der Junge mit dem entschiedenen Blick Shibekas und Lennarts Treffen im Café nicht gut aufgenommen hatte und dass er eine eigene Beziehung zu ihm aufbauen musste.
«Ich hatte gehofft, dass auch wir beide uns eine Weile unterhalten könnten», sagte Lennart vorsichtig, aber Mehran schien nicht sonderlich interessiert.
«Vielleicht danach. Jetzt setze ich mich zu den Frauen.» Er wandte sich Linda zu. «Warten Sie hier, ich komme gleich.»
Er ging voraus, führte Lennart in die Küche und bat ihn, auf einem der Holzstühle am Küchentisch Platz zu nehmen.
«Sie können sich gern etwas zu trinken nehmen, wenn Sie möchten», erklärte er und zeigte auf die braune Teekanne, die auf dem Tisch stand. Dann ging er wieder hinaus zu Linda. Lennart ließ sich auf den Stuhl fallen. Er sah, wie der Junge Linda wortlos ins Wohnzimmer führte und die Tür hinter ihnen schloss. Bald hörte Lennart ein gedämpftes Gemurmel von dort herüberdringen. Melika schien gar kein Schwedisch zu verstehen, offenbar musste Shibeka alles übersetzen. Leider sprachen sie zu leise, als dass Lennart sie hätte verstehen können. Er überlegte, ob er sich zur Tür schleichen sollte, um etwas aufzuschnappen. Deshalb war er schließlich hergekommen, nicht um allein in der Küche abzuwarten und Tee zu trinken. Aber er beschloss, es seinzulassen. Mehran würde ihn erst recht nicht leiden können, wenn er ihn beim Lauschen erwischte. Er hatte nicht nur das Gefühl, dass Linda ihn überholt hatte. Er fühlte sich überfahren.
Jetzt konnte er Lindas Stimme dort drinnen hören.
Sie klang fröhlich, energisch und engagiert.
So viel verstand er auch durch die Wand.
Sie war in ihrem Element.
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D ie beiden Rucksäcke waren fast identisch. Arc’teryx mit fünfundsechzig Liter Volumen, schwarz mit roten Applikationen. Jan und Framke Bakker schienen zu jenen Paaren zu gehören, die ihre Zusammengehörigkeit demonstrierten, in dem sie gleich aussahen. Die grau-gelben Goretex-Sachen, die rot-schwarzen Rucksäcke, ja sogar die Wanderschuhe waren
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