Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Jämtland gebucht. Ob Adam nicht für eine Weile dorthin fahren und alles überdenken könne? Wenn er nach seiner Rückkehr immer noch derselben Meinung wäre, sollte er tun, was er für nötig hielt. Eine Woche. Es wäre wohl gut, ein wenig Abstand zu der Sache zu gewinnen. Er liebte doch den Fjäll.
Und Adam war gefahren.
Jemand hatte Patricia Wellton beauftragt. Charles wusste nicht, wer diese Kontakte pflegte, Alexander oder jemand vom Außenministerium, aber vermutlich war es nicht der stellvertretende Außenminister selbst, da nach dem Tod von Anna Lindh chaotische Zustände herrschten.
Charles war zu dem vereinbarten Ort gefahren, um sich anschließend mit Patricia Wellton zu treffen. Ihren Bericht entgegenzunehmen. Als sie endlich kam, mehrere Stunden zu spät, war sie außer sich. Niemand habe etwas von zwei Kindern und einer Frau gesagt. Wie zum Teufel könne man von ihr erwarten, dass sie ihren Job erledigte, wenn die Informationen über das Ziel nicht stimmten.
Adam. Dummer, dummer, in seine Familie vernarrter Adam. Charles verstand sofort, was passiert war. Adam hatte seine Familie mitgenommen. Lena, Ella und Simon.
Lena war auf dem Gymnasium in Södertälje mit Charles in eine Klasse gegangen. Sie waren gute Freunde gewesen. Oder besser gesagt, sie sah ihn nur als einen Freund an. Er war in sie verliebt. Er zeigte es nie, weil er fürchtete, sie ganz zu verlieren, wenn sie ahnte, welche Gefühle er ihr gegenüber hegte. Sie war oft bei ihnen zu Hause. Zwei Jahre älter als Adam. In diesem Alter sollten Mädchen jüngere Jungs eigentlich kindisch, unreif und uninteressant finden. Aber Lena war nicht wie die anderen. Im Jahr, bevor Charles und sie Abitur machten, wurden Adam und sie ein Paar. Er war siebzehn, sie neunzehn. Charles war gezwungen, sie knutschend zusammen vor dem Fernseher auf dem Sofa liegen zu sehen. Nachts hörte er sie durch die Wand. Aber er hielt durch. Es war eine Jugendliebe. Niemand glaubte, dass sie lange bestehen würde. Aber sie tat es.
Jahr um Jahr.
Sie heirateten 1990, als Adam zweiundzwanzig war, und bekamen fünf Jahre danach Ella und zwei Jahre darauf Simon. Die glückliche kleine Familie. Sie zogen nach Stockholm, Charles nach Oskarshamn. Dennoch trafen sie sich oft, unternahmen gern Dinge zusammen. Charles war Simons Patenonkel und liebte ihn und seine Schwester, aber er kam nie über das Gefühl hinweg, Adam hätte ihm etwas genommen, das eigentlich ihm zustand. Natürlich war das falsch und irrational. Hätte Adam gewusst, was Charles für Lena empfand, hätte er zurückgestanden, das wusste Charles.
Der nette, gute Adam.
Patricia Wellton.
Als Charles erfuhr, dass sie Lena und die Kinder getötet hatte, war es ein schwerer Schlag für ihn gewesen. Sie hatten nicht sterben sollen. Sie sollten leben. Er sollte leben. Wer konnte schon sagen, was in der Zukunft passiert wäre? Vielleicht nichts. Deshalb hatte er Adam ja auch nicht überredet, in die Hütte zu kommen. Sondern weil er dazu gezwungen gewesen war. Um die Sicherheit der Nation zu gewährleisten. Es war ein Opfer, das er gezwungenermaßen erbringen musste, um die zerbrechliche Demokratie zu schützen.
Aber Lena und die Kinder sollten nicht sterben.
Dennoch war es passiert.
Patricia tötete sie, und deshalb tötete er Patricia.
Charles zuckte zusammen.
Ein Auto näherte sich. Er sah, wie die Lichter die Fassade der verlassenen Häuser streifte, als es auf den Vorplatz fuhr. Wie lange stand er hier eigentlich schon und hing seinen Gedanken nach?
Es lag an diesem Ort.
Er hätte einen anderen wählen sollen. Zu viele Erinnerungen. Er sah auf die Uhr und spähte vorsichtig durch das zerbrochene Fenster im Erdgeschoss. Joseph war gekommen. Es war Zeit, wieder etwas abzuschließen.
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D as ehemalige Gebäude der Kasernenwache lag verlassen da. Die Scheiben in den Fenstern waren gesprungen, und jemand hatte passenderweise BEWAFFNETER KAMPF! an die baufälligen Wände gekritzelt. Hier schien schon seit vielen Jahren kein Mensch mehr gewesen zu sein. Joseph rollte vorsichtig an den Stützen des ehemaligen Schlagbaums vorbei, der einmal als Wegsperre gedient hatte. Langsam fuhr er weiter den Hügel hinauf. Sogar der Asphalt wirkte vergessen, mit seinen großen Schlaglöchern und dem Gras, das aus den Rissen hervorwucherte. Hinter dem Hügelkamm sah er die großen Kasernen in einer Reihe vor sich liegen. Er fuhr an den Rand und parkte so weit entfernt wie möglich. Sah sich um, konnte
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