Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
aber niemanden entdecken. Wenn die Gebäude ihre besten Tage schon hinter sich hatten, war das nichts im Vergleich zu dem Haus, vor dem er jetzt stand. Überall lagen Gerümpel und Glasscherben, alle Flächen waren mit Graffiti bedeckt, und hier und da standen ausgebrannte Autos herum. Dies war wirklich ein passender Ort, um alte Sünden zu begraben. Vor einiger Zeit hatten hier junge Männer geübt, ihr Land zu verteidigen. Jetzt war es nur noch eine Geistersiedlung. Als er den Motor abstellte, wurde es vollkommen still.
Auch aus dem Kofferraum drangen keine Geräusche. Schön. Es wäre anstrengend gewesen, wenn der Rotzbengel dort hinten geschrien und randaliert hätte. Das war ihm in Jordanien einmal passiert, als er jung war, und es war ziemlich störend, mit einer solchen Ladung umherzufahren. Schon die jetzige Situation bereitete ihm Kopfschmerzen. Besonders, dass der Junge ihn nach so vielen Jahren aufgesucht hatte. Es wäre verständlicher gewesen, wenn jemand in der ersten Zeit, nachdem es geschehen war, zu ihm gekommen wäre. Damals hatte er sich davor auch gefürchtet, aber mit jedem Jahr, das verging, fühlte er sich sicherer, und am Ende hatte er es fast vergessen. Das Leben ging weiter. Seine Befürchtungen verringerten sich Tag für Tag, bis sie so klein waren, dass sie sich nicht weiter bemerkbar machten.
Aber zurückgelassene Kinder vergaßen nicht, wie er jetzt begriff. Vermutlich wuchs der Wunsch zu verstehen mit zunehmendem Alter. Bis die Kinder eines Tages mit ihren Fragen vor der Tür standen. Jedenfalls wenn sie einen Namen hatten, nach dem sie suchen konnten.
Und den hatte der Junge auf irgendeine Weise herausgefunden.
Also hatte irgendjemand nicht dichtgehalten.
2003 war eine verrückte Zeit für ihn gewesen. Alle waren geradezu gierig nach Informationen. Amerikaner, Briten, Schweden, Ägypter. Sie wollten mehr und mehr. Sie schienen zu glauben, dass es im kleinen Schweden vor potenziellen Terroristen nur so wimmelte, und dieser Gedanke führte zu einem verschwenderischen Umgang mit Geld und Personal. Und er hatte sich mitten in diesem Irrsinn befunden und bereitwillig seine Rolle in diesem Spiel eingenommen. Wichtige Menschen fingen an, auf ihn zu hören. Seine Hinweise brachten ihm Macht und Geld ein. Es war ein berauschendes Gefühl gewesen. Das Leben eines Menschen in seinen Händen zu halten, indem er auf ihn hinwies.
Doch mit dem Geld kamen die Forderungen. Sie wollten Namen haben. Immerzu. Mehr und mehr. Sie waren paranoid und unersättlich. Warum reiste diese Person da und da hin? Wen traf jene Person dort? Was machte dieser Imam in Schweden? Wer hatte ihn eingeladen? Konnte er nicht versuchen, sich in diese Gruppe einzuschleusen?
Er hatte sie zufriedengestellt und gleichzeitig seine Taschen mit Geld vollgestopft.
Das hatte sich inzwischen geändert. Man verließ sich nicht mehr so sehr auf einzelne Informanten. Die Methoden waren verfeinert worden. Die Hinweise kamen von mehreren Seiten und wurden sorgfältiger kontrolliert. Miteinander verglichen. Die Regeln hatten sich geändert, das Geld war weniger geworden. Man schickte seine eigenen Leute, um eine Organisation zu unterwandern. Und die beiden gegnerischen Parteien entwickelten in der Zwischenzeit neue Wege, einander zu bekämpfen. Die Amerikaner bombardierten den Feind im Schlaf, mit unbemannten Drohnen und Raketen, und die Extremisten suchten sich neue Länder, in denen sie wirksam wurden, wie ein Wanderzirkus, der ständig zwischen immer ärmer werdenden Ländern umherzog.
Joseph hatte schon lange eingesehen, dass er seine besten Tage hinter sich hatte. Die goldene Zeit war vorbei. Er musste sich bald etwas Neues suchen. Das Schlimmste war, dass einige seiner potenziellen Arbeitgeber in letzter Zeit weggefallen waren. Gaddafi war weg, Mubarak ebenfalls. Die Libyer waren die Besten gewesen. Besser als alle westlichen Länder zusammen. Sie hatten unter einem grenzenlosen Verfolgungswahn gelitten und auch für Informationen gezahlt, die eigentlich leicht selbst zu beschaffen gewesen wären.
Ali war auf einem Treffen von Exil-Libyern.
Tarek hatte ein Interesse für diese und jene Vereinigung gezeigt.
Mahmed hatte sich abfällig über Gaddafis Söhne geäußert.
Solch banale Information hatte er zu Geld gemacht. Einst hatte er ein eigenes Meer gehabt, dachte er immer – in dem er Menschen und Informationen angeln und sie auf seinem eigenen Fischmarkt verkaufen konnte.
Die meisten, die er verkaufte, waren tatsächlich
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