Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
sie das auch nicht gehindert. Dass sie und Micke wieder zusammengefunden hatten, war sicher auch nur eine vorübergehende Phase. Micke war nicht derjenige, den Ursula haben wollte oder brauchte. Das wusste sie selbst nur zu gut. Vielleicht bedurfte es nur eines deutlicheren Signals von Torkel, damit sie es wagte, ihren Mann zu verlassen. Vielleicht musste sie sicher sein, dass er auf sie wartete und sie mit offenen Armen empfing. Nein, das war ein schlechtes Bild. Ursula brauchte keinen Mann, der sie empfing. Er kannte niemanden mit einer so großen Selbstbestimmtheit wie sie. Aber es blieb bei der Tatsache, dass sie nicht wusste, was er für sie empfand. Und er konnte den Kampf nicht gewinnen, wenn er sich nicht aufs Schlachtfeld hinauswagte. Er nahm das Telefon und wählte ihre Nummer. Noch ehe sie sich meldete, stand er auf und begann, im Raum umherzugehen. Diesmal drehte es sich in seinem Kopf ganz gehörig, nachdem er mühsam auf die Beine gekommen war. Es war doch ziemlich viel Whisky gewesen.
«Hier ist Ursula», hörte er sie.
«Hallo, ich bin es», sagte er fröhlich. «Torkel», fügte er sicherheitshalber hinzu.
«Ja, das habe ich gesehen. Wie geht es dir?»
«Gut. Sehr gut.» Er nahm einen tiefen Atemzug, der sich jedoch sofort in einen sauren Rülpser zu verwandeln drohte. Es gelang ihm, das Geräusch mit einem kleinen Räuspern zu übertönen. «Und dir?»
«Auch gut, danke.»
«Gut.»
«Wolltest du etwas Bestimmtes?», fragte Ursula, nachdem er einige Sekunden lang geschwiegen hatte.
Torkel blieb neben dem Fenster stehen und kratzte sich am Kopf. Ihm fiel beileibe kein triftiger Grund ein, also sagte er die Wahrheit.
«Nein, ich wollte einfach nur mit dir reden.»
«Aha. Das ist aber leider gerade etwas ungünstig …»
Ursula schielte zu Sebastian hinüber, der aufstand und ihre Teller zur Spülmaschine trug.
«Ich liebe dich.»
Ursula war heilfroh, dass Sebastian ihr gerade den Rücken zugekehrt hatte. Sie wusste nicht, wie sie ihre Reaktion beschreiben sollte, aber da ihr fast das Telefon aus der Hand gefallen wäre, war «überrascht» wohl eine starke Untertreibung. Was sollte sie antworten? Das war definitiv das Letzte, was sie von ihrem Chef zu hören erwartet hatte.
«Ich weiß, dass du Micke hast und alles», fuhr Torkel fort und rettete Ursula auf diese Weise davor, auf seine Liebeserklärung zu antworten, «aber … wenn das irgendwann einmal nicht mehr gut laufen sollte … Ich warte auf dich. Ich liebe dich.»
Ursula saß immer noch schweigend mit dem Telefon am Ohr da. Jetzt spürte sie Sebastians Blicke im Nacken, aber sie wollte sich nicht umdrehen.
«Wie schön», sagte sie schließlich, weil sie gezwungen war, irgendwie zu reagieren. Am anderen Ende wurde es still. Sie wollte dieses Gespräch wirklich nicht weiterführen, aber sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. Torkel räusperte sich erneut, als wäre ihm gerade bewusst geworden, dass er sie in eine unmögliche Situation gebracht hatte.
«Es war dumm, dich anzurufen. Aber ich wollte, dass du es weißt.»
«Ich wusste es bereits.»
Torkel schien es plötzlich so eilig zu haben, das Telefonat zu beenden, dass er nicht hörte, was sie zuletzt gesagt hatte.
«Ja. Es tut mir leid», meinte er nur. «Wir sehen uns morgen.»
«Ja. Bis morgen.»
Dann war er weg. Langsam legte Ursula das Telefon auf den Tisch, während sie ihren Gesichtsausdruck, ihre Gedanken und ihre Stimme zu ordnen versuchte. Als sie glaubte, dass sie alles wieder unter Kontrolle hatte, sah sie zu Sebastian auf.
«Das war Torkel …»
«Was wollte er?»
«Nichts. Irgendetwas mit der Arbeit. Ich glaube, er hatte ein bisschen viel getrunken …»
Offenbar musste Sebastian nicht mehr wissen, er hielt eine Espressokanne und zwei Tassen hoch.
«Kaffee im Wohnzimmer?»
Ursula nickte und stand auf. Es würde eine Weile dauern, bis sie dieses Telefonat vergessen hätte.
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E llinor gab den Code ein, und als das Schloss summte, schob sie die Tür auf und schlüpfte hinein. Sie schaltete das Licht an und betrachtete den wohlbekannten Eingang. Er glaubte sicherlich, sie wäre dumm und käme, wenn er auf der Hut war. Glaubte, sie würde bei ihm klingeln und ihm eine Szene machen. Ihn mit SMS und Anrufen terrorisieren. Doch sie hatte sich ferngehalten. Nicht angerufen, nicht geschrieben, nicht vor seiner Tür gestanden. Der Dinge geharrt. Wenn Ellinor Sebastian richtig einschätzte, und das glaubte sie leider zu tun, hatte
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