Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Befürchtung nicht ganz grundlos war.
«Warum sollte er?»
«Ich weiß es nicht. Ich habe lange darüber nachgedacht, und das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, dass er krank ist. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund will er mein Leben zerstören.»
Billy nickte nur, um seine Verwirrung zu verbergen. Was Vanja da erzählte, ließ sich nur schwer mit seinen eigenen Vermutungen über Sebastian und sie in Einklang bringen. Warum sollte Sebastian ihr schaden wollen, wenn er ihr Vater war?
«Das klingt ein bisschen … merkwürdig.»
«Genau deshalb kommt er ja auch damit durch», erwiderte sie möglichst ruhig und glaubwürdig. «Es ist so verrückt, dass niemand auf die Idee kommt, er hätte es getan. Ich glaube, er ist ein Psychopath.»
Was sollte er sagen? In dem Moment ging die Zimmertür auf, und ein Arzt kam herein. Zu Billys Erleichterung richtete Vanja ihre Aufmerksamkeit nun auf ihn.
«Sie können wieder nach Hause fahren», sagte Doktor Shahab.
«Okay, und wann soll ich wiederkommen?»
«Gar nicht. Sie kommen als Spenderin nicht in Frage. Ihre Niere passt nicht.»
Vanja verstand gar nichts mehr. Es war, als spräche er plötzlich eine andere Sprache.
«Aber natürlich tut sie das. Ich bin schließlich seine Tochter!»
«Bedaure.» Omid Shahab machte eine entschuldigende Handbewegung. «Das kommt manchmal vor. Es tut mir wirklich leid.»
«Welche Blutgruppe hat sie denn?», hörte sie Billy fragen.
«Es gibt vieles, was nicht übereinstimmen kann, nicht nur die Blutgruppe», wich der Arzt seiner Frage aus. «Diesmal sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass das Risiko für eine Abstoßung zu groß ist.»
«Ich habe 0», antwortete Vanja auf Billys Frage.
«Und dein Vater?», fragte Billy, nun an Vanja gewandt.
«Keine Ahnung.»
Sie wandte sich von Billy ab und Omid Shahab zu, der auf der anderen Bettkante saß. Der Arzt wich ihrem Blick aus und kratzte sich am Kinn. Das weckte die Polizistin in ihr. Doktor Shahab verheimlichte ihr etwas.
«Was hat er für eine Blutgruppe?», fragte sie beharrlich.
«Das kann ich nicht sagen», behauptete er. «Es ist vertraulich.»
«Er ist mein Vater. Ich werde das schon irgendwie herausfinden, und zwar spätestens in einer Viertelstunde, also können Sie es mir doch wohl genauso gut gleich verraten?»
Omid Shahab zögerte. Diese Art von Informationen durfte er an niemanden weitergeben, egal, ob es Angehörige waren oder nicht. Andererseits war er tatsächlich überzeugt, dass Vanja es ohnehin herausfinden würde. Und zwar noch schneller, als sie angedroht hatte.
«AB», sagte er leise.
Vanja verstand sofort, was das bedeutete.
Auch wenn sie das Kreuzungsschema aus dem Biologieunterricht nicht mehr genau im Kopf hatte, so reichte ihr Wissen dank der Zusammenarbeit mit Ursula und deren Tatortanalysen absolut aus.
Ein Elternteil mit der Blutgruppe AB konnte kein Kind mit der Blutgruppe 0 zeugen.
Sie konnte die Konsequenzen dessen, was sie gerade erkannt hatte, nicht überschauen. Sie waren zu groß.
Billy beugte sich vor und umarmte sie. Sie klammerte sich verzweifelt an ihm fest. Billy sagte nichts. Aber er dachte.
Er überlegte, was Sebastian wohl für eine Blutgruppe hatte. Er war sich ziemlich sicher, dass es nicht AB war.
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E llinor zog ihr Namensschild vom Pullover ab und legte es in einen der kleinen Metallspinde, die an der einen Wand im Personalraum des Kaufhauses Åhléns standen. Dann nahm sie ihre Jacke und ihre Tasche heraus und schloss den Schrank. Die Tasche kam ihr schwerer vor als sonst, oder bildete sie sich nur ein, dass sie es spürte? Achthundertvierundsiebzig Gramm waren nicht viel, und dennoch meinte sie, den Unterschied zu bemerken. Vielleicht war es ein psychischer Effekt. So wie man sich einbilden konnte, dass es einem von Tabletten besserging, auch wenn es in Wahrheit nur Zuckerpillen gewesen waren. Sie hängte sich die Tasche um, etwas schwerer war sie auf jeden Fall, und ging zum Personalausgang. Im Vorbeigehen verabschiedete sie sich von dreien ihrer Kolleginnen. Sie wollten heute Abend gemeinsam ein Glas Wein trinken gehen und hatten Ellinor gefragt, ob sie mitkommen wolle, doch sie hatte abgelehnt.
Sie hatte andere Pläne.
Jetzt trat sie auf die Mäster Samuelsgatan und knöpfte ihre Jacke zu. Sie sah sich um. Erst würde sie irgendwo etwas essen gehen. Jensens Bøfhus lag günstig. Nur einige Hundert Meter weiter die Straße hinunter. Mit der einen Hand hielt sie die Jacke am Kragen
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