Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
und legte ihre Hände auf den Tisch, um zu signalisieren, dass das Gespräch beendet war. Sie wollte wieder schlafen gehen.
Sebastian beugte sich vor und legte seine Hand auf ihre. «Ich habe das gar nicht spöttisch gemeint. Ich sehe ja, dass es dich verletzt, ich verstehe nur nicht ganz, warum. Du bist ihm doch schon seit zwanzig Jahren untreu.»
«Ich war ihm vor zwanzig Jahren untreu», korrigierte Ursula ihn.
«Dass du mit Torkel ins Bett gehst, zählt also nicht?»
Ursula erstarrte. Wie konnte er das wissen? Oder vermutete er es nur? Sie schaute ihn verdattert an.
«Ja, ich weiß es. Und nein, ich habe es keinem erzählt», erklärte Sebastian. «Man sieht es euch einfach an.»
Ihr blieb kurz die Luft weg. Er hatte recht mit dem, was er sagte. Über sie und Torkel, natürlich. Aber auch damit, dass Micke nicht die Liebe ihres Lebens war. Diesen Titel konnte niemand beanspruchen. Sebastian hätte es vielleicht einmal werden können, aber inzwischen war sie sicher, dass sie gar nicht dazu in der Lage war, einen Menschen zu lieben. Jedenfalls nicht so, wie andere Menschen geliebt werden wollten. Micke hatte das ausgehalten. Lange. Torkel war gewillt, es zu versuchen, das wusste sie. Bereit, sie so zu nehmen, wie sie war. Zu ihren Bedingungen. Das Problem war, dass sie ihn nicht wollte. Sie wollte nur eines. Das hatte sich nach der Trennung immer stärker herauskristallisiert. Es war das einzig Wichtige. Und sie war sich sicher, es nie zu bekommen.
Die Liebe ihrer Tochter.
Erneut sah sie Sebastian an. Schweigend wartete er auf ihre Antwort.
«Du hast recht», sagte Ursula schließlich leise. «Eigentlich geht es nicht um Micke, sondern um Bella.»
«Was ist denn mit ihr?»
«Sie war schon immer ein Vaterkind. Aber solange Micke und ich zusammen waren, habe ich wenigstens ein bisschen von ihrer Liebe abbekommen.»
Sebastian sah, wie ihre Augen in dem gedämpften Licht zu glänzen begannen. Veränderung …
Wenn man nicht daran glaubte, dass alles vorherbestimmt war und die eigenen Handlungen keine Rolle spielten, bedeuteten solche Veränderungen immer, dass man sich selbst auf den Prüfstand stellen musste. Wie konnte es so weit kommen? Was hätte ich anders machen können? Was passiert gerade? Und was soll ich jetzt tun? Veränderungen zwangen einen zu einer gewissen Selbsteinsicht, die nicht immer ganz schmerzfrei und positiv ausfiel.
«Was glaubst du, wie oft sie mich zu Hause besuchen wird, wenn Micke nicht mehr da ist?»
Sebastian schwieg und spürte, dass ihn das Gespräch unangenehm stark berührte. Eine Tochter auf Abstand. Die Sehnsucht danach, an ihrem Leben teilhaben zu können. Die Furcht, das nicht erleben zu dürfen.
«Nie», beantwortete Ursula ihre eigene Frage und schüttelte den Kopf angesichts dieser Schreckensvorstellung. «Sie wird mich an meinem Geburtstag und an Weihnachten anrufen und meinen Geburtstag irgendwann einfach nach und nach vergessen.»
«Warum glaubst du das?»
«Weil wir uns eigentlich gar nicht kennen», antwortete Ursula unsentimental und so prompt, dass Sebastian klarwurde, wie viel Zeit sie schon damit verbracht hatte, die Beziehung zu ihrer Tochter zu analysieren. «Ich habe immer eine gewisse Distanz zu ihr gehalten. So mache ich das eben. Bei allen. Ich gebe immer nur ein Stückchen von mir selbst. Aber so kann man das bei Kindern nicht machen. Sie brauchen einen ganz. Die ganze Zeit über.»
«Hast du ihr das einmal so gesagt?»
«Nein, und jetzt ist es dafür zu spät. Sie ist erwachsen.»
«Das glaube ich nicht», entgegnete Sebastian bestimmt. «Und ich hoffe wirklich, dass es nicht zu spät ist.» Er sah, wie sie angesichts seines ungewohnt engagierten Tons aufhorchte. «Deinetwegen», fügte er sicherheitshalber hinzu.
«Danke.»
Sebastian nickte. Eine Weile saßen sie schweigend da. Sebastian hatte nichts mehr hinzuzufügen, und Ursula hatte offenbar nichts mehr mitzuteilen. Sie leerte die zweite Bierflasche, schob sie zur Seite und stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch.
«Und was ist mit dir?»
«Was soll mit mir sein?»
«Was hast du geträumt?»
Sebastian leerte seine Cola-Dose, während er im Kopf blitzschnell die Alternativen und Chancen durchging. Wie war die Lage im Team? Vanja kam mit ihm zurecht, und trotz seiner kleinen Show am Abend mochte Billy ihn auch. Torkel war Torkel. Ursula war immer noch diejenige, die es zu besiegen galt. Obwohl sie beschlossen hatte, sich zu öffnen. Ihm. Nicht demjenigen im Team, dem sie
Weitere Kostenlose Bücher