Die Toten, die niemand vermisst: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Eingangstür auf, warf einen Blick auf die Tafel im Foyer und nahm den Aufzug.
«Womit kann ich Ihnen helfen?», fragte der junge Mann, der Ellinor an der Rezeption abgeholt hatte, und bat sie, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
«Ja, wie ich schon am Empfang sagte, würde ich gern ein Verbrechen anzeigen.»
«Ein Wirtschaftsverbrechen?»
«Ja. Ein Wirtschaftsverbrechen.» Sie wiederholte das Wort mit einer gewissen Emphase. Allein es auszusprechen, war spannend. Und es war spannend, hier zu sein. Und notwendig.
«In Ordnung …» Der junge Mann wandte sich dem Computer zu, öffnete per Mausklick irgendein Formular und legte seine Hände auf die Tastatur. «Wen möchten Sie anzeigen, und weshalb?»
«Ich habe alles hier.»
Ellinor legte die Plastiktüte auf den Tisch. Der Polizist sah sie ein wenig misstrauisch an.
«Was ist das?»
«Eine Ermittlung. Beweise. Alles, was Sie brauchen.»
Der Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs schaute sie an, als wäre er vom genauen Gegenteil überzeugt. Er zog den oberen Griff der Plastiktüte hoch, warf einen Blick auf die darin liegenden Papierstapel und konnte sich einen Seufzer nicht verkneifen. Ellinor begriff, dass sie ihren Worten allmählich mehr Nachdruck verleihen musste.
«Das Material ist in Ordnung. Das ist nichts, was ich mir ausdenke. Ein Polizist hat das alles herausgefunden.»
Nun sah ihr Gegenüber neugierig von der Tüte auf.
«Ein Polizist?»
«Ja.»
«Und wer?»
«Trolle Hermansson heißt er. Oder besser hieß. Er ist tot.»
Der junge Mann nickte nur höflich. Offenbar hatte er noch nie von einem Polizisten dieses Namens gehört.
«Und was passiert jetzt?», fragte Ellinor.
«Wir werden uns das ansehen», der Mann deutete auf die Tüte, «und dann entscheiden, ob wir in dieser Sache ermitteln.»
«Aber das ist eine Ermittlung!», fiel Ellinor ihm ins Wort. «Alles, was Sie brauchen, befindet sich in dieser Tüte.»
«Wenn wir ermitteln», fuhr der Mann fort, ohne auf ihren Einwand einzugehen, «wird das relativ schnell passieren. Unser Ziel ist es, die Fälle innerhalb von fünfzig Tagen in Angriff zu nehmen, jedenfalls wenn es um weniger gravierende Wirtschaftsverbrechen geht.»
«Ich weiß nicht, wie gravierend es ist.»
«Deshalb werden wir das Material ja prüfen.»
Ellinor blieb sitzen. Hatte sie etwas vergessen? Sie hatte erledigt, weshalb sie gekommen war. Fünfzig Tage waren natürlich eine lange Zeit, aber sie hatten vermutlich auch viel zu tun. Schließlich stand sie auf. Der Mann tat es ihr gleich und streckte ihr die Hand entgegen. Sie nahm sie, zögerte jedoch einen Moment. Vielleicht konnte sie doch bewirken, dass er ihren Fall bevorzugt behandelte.
«Je schneller Sie diesen Mann hinter Gitter bringen, desto besser. Ich glaube, dass er meinen Lebensgefährten bedroht.»
«Ach wirklich?»
«Ja.»
«Hat Ihr Lebensgefährte das bei der Polizei angezeigt?»
«Nein, aber er hat mich vor die Tür gesetzt. Um mich zu schützen.»
Der Mann nickte vor sich hin, fast so, als glaubte er ihr nicht. Was natürlich keineswegs der Fall war, denn wie sie wusste, hörte er als Polizist nicht zum ersten Mal von einer solchen Vorgehensweise. Und sie hatte gelesen, dass die Bedrohung von Zeugen ein wachsendes Problem für die Polizei darstellte.
«Wir werden sehen, was wir tun können.»
«Gut. Aber wie gesagt, je schneller Sie diesen Lithner fassen, desto besser.»
Mit diesen Worten drehte Ellinor sich um und ging.
Peter Gornack sah ihr nach.
Es war schnell gegangen. Der Anruf von der Rezeption, die Begrüßung. Wie üblich. Dann jedoch hatte sich die Angelegenheit von einer normalen Anzeige, aufgegeben von einer dem ersten Anschein nach normalen Frau, hin zu einer abstrusen «Ermittlung» mit einem toten Polizisten und einem bedrohten Exfreund entwickelt. Kaum war die Plastiktüte auf Peters Schreibtisch gelandet, hatte er instinktiv gespürt, dass diese Sache reine Zeitverschwendung sein würde. Pflichtschuldig blätterte er einige Seiten durch, um den Fall schnell zu den Akten zu legen. Denn das würde er. Da war er sich sicher. Bis er den Namen entdeckte.
Valdemar Lithner.
Er war zusammen mit Vanja Lithner auf die Polizeischule gegangen. Im zweiten Jahr waren sie sogar eine Zeitlang zusammen gewesen, doch sie hatte die Beziehung nach einigen Monaten beendet. Keine großen Gesten, keine Dramen. Sie hatten weiterhin zusammen die Schule besucht. Als Freunde. Kollegen waren sie jedoch nie geworden, denn nach der Ausbildung
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