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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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könnte locker zehn, fünfzehn Pfund abnehmen.«
    »Wozu?«, fragte Paloma.
    »Damit ich nicht so viel Gewicht mit mir rumschleppen muss. Du weißt schon.«
    Paloma sah ihn an, und Kelly spürte ihre Wachsamkeit sofort. »Zum Kämpfen?«, fragte sie.
    »Ja. Aber
richtige
Kämpfe, nicht die, die ich sonst mache. Ich lebe jetzt schon eine ganze Weile hier und kenne ein paar Leute. Vielleicht kann ich wieder eine Lizenz bekommen.«
    Geschirr und Töpfe waren gespült, abgetrocknet und weggeräumt. Paloma wischte sich die Hände an einem abgenutzten Geschirrtuch ab. Sonntags lackierte sie sich nie die Nägel; dadurch sahen ihre Hände anders aus, irgendwie ehrlicher.
    »Ich dachte, du wolltest damit aufhören«, sagte Paloma. »Wir haben darüber gesprochen.«
    »Ich weiß. Aber was soll ich sonst machen?«
    »Da draußen gibt es Möglichkeiten genug.«
    Paloma sah Kelly an, der den Blick erwiderte. Er spürte kein Missfallen, konnte jedoch unmöglich abschätzen, was hinter ihrem hübschen Gesicht vorging. Kelly senkte den Kopf, ließ aber nicht locker. »Ich weiß nicht, was ich besser könnte. Ja, ich bin dreißig, aber so schlimm ist das nicht; in meiner Gewichtsklasse, mit etwas anständigem Training … könnte ich einige Boxkämpfe gewinnen.«
    Paloma schwieg eine Weile, schließlich nickte sie. »Na gut«, sagte sie.
    Sie umarmten sich in der Küche. Durch das kleine Fenster wehte vom Garten Marihuanarauch herein und verschmolz mit dem angenehmen Duft vom Essen und dem Geruch von Palomas Haut. »Ich weiß, wie ich es anstellen muss«, sagte Kelly. »Ich werde es zumindest versuchen.«
    »Ich glaube dir«, sagte Paloma. Sie küsste ihn auf die Stirn. Kelly legte ihr die Hände auf die Pobacken. Paloma stieß sie weg. »Nicht am Sonntag.«
    »Okay.«
    Das sagte sie jede Woche.

DREIZEHN
    Manchmal besuchte er die Kämpfe auch, obwohl er nicht selbst in den Ring stieg.
    Vidal arbeitete für einen armen, jungen Boxer aus einer der
colonias
am Stadtrand von Juárez, der kaum mehr als das Fahrgeld für den Bus verdienen konnte, mit dem er hierherkam. Kelly hob die Hand, um den alten Mann auf sich aufmerksam zu machen, bevor er sich setzte. Vidal nickte; mehr bekam man selten von ihm.
    Das Programm war nichts Besonderes – sechs Kämpfer, keiner schwerer als Weltergewicht –, die Kämpfe jedoch genehmigt. In der Sporthalle herrschte eine bessere Atmosphäre als in den verrauchten Arenen: Kelly sah Frauen und sogar ein paar Kinder. Es waren mehr Leute da, und man sah öfter ein Lächeln, weniger finstere Mienen. Wenn Blut floss, dann floss eben Blut, aber hier war es nicht das, was die Zuschauer anlockte.
    Kelly kaufte eine Tüte warme
tamales
und eine Flasche Jarritos mit Tamarindengeschmack. Wackelige ausziehbare Tribünen säumten zwei Seiten der Halle und bebten unter dem Gewicht von Mexikanern, die aufstanden, sich setzten oder herumschlenderten und sich mit Freunden unterhielten. Kelly sah den einen oder anderen fragenden Blick, aber niemand stellte sich ihm in den Weg oder erhob Einspruch, als er einen guten Platz gefunden hatte. Direkt vor dem Ring standen drei Reihen Klappstühle, doch die waren nummeriert und die Karten entsprechend teurer.
    Leute strömten in die Halle, bis keinem mehr etwas anderes übrig blieb, als Hüfte an Hüfte und Arm an Arm zu sitzen. Ein Mann in einem weißen Hemd, schwarzer Hose und adretter Krawatte fegte den Ring mit einem Reisigbesen. Er und ein weiterer, ebenso gekleideter Mann fungierten bei den Kämpfen als Ringrichter.
    Als der Ansager den Ring betrat, kam Leben in das Geschehen. Er stellte die drei Kampfrichter vor und verlas eine Liste der örtlichen Sponsoren. Kelly kannte keinen der Namen, die beiden ersten Boxer kannte er auch nicht. Einer war Vidals Junge, der andere ein spindeldürres Fliegengewichtmit Aknepusteln im Gesicht. Die Menge feuerte beide gleichermaßen an.
    Schwergewichtler erhielten die ganze Aufmerksamkeit und das ganz große Geld, besonders in den Staaten, aber die kleinen Burschen verfügten über die bessere Technik. Als Kelly in der Weltergewichtsklasse gekämpft hatte, hatte er immer genau hundertsiebenundvierzig Pfund auf die Waage gebracht. Damals hatte er noch den Körper für ein echtes Mittelgewicht gehabt oder Supermittelgewicht, wenn er es auf die Spitze getrieben hätte, doch die zusätzlichen fünfzehn oder zwanzig Pfund fühlten sich wie ein Mantel aus Beton an, ob sie nun aus Fett oder Muskeln bestanden. Leichtere Boxer sollten auch

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