Die toten Frauen von Juárez
Kirche emporzog. Rußige schwarze Stellen blieben am Stein zurück, wo unzählige frühere Messen ihre Spuren hinterlassen hatten.
Am Ende der Messe strömten Paloma und die Frauen mit den anderen Gemeindemitgliedern hinaus. Sie schüttelten den Priestern die Hände und traten ins Sonnenlicht. Erst jetzt, da die Frauen ihre Gebete gesprochen und den Segen erhalten hatten, unterhielten sie sich. Paloma blieb bei ihnen.
Die erste Frage einer jeden Frau war unweigerlich dieselbe – »Hast du etwas gehört?« –, denn alle hatten eine Angehörige verloren. In Juárez fand man oft tote Frauen, doch manchmal verschwanden sie auch einfach und tauchten nie wieder auf. Für Paloma war das das Schlimmste, da diese Frauen und Mädchen nicht tot sein konnten, wenn es nichts zu begraben gab. Sie waren dazu verdammt, für immer und ewig außer Reichweite in einer Art Schwebezustand zu existierten. Wenn die alten Frauen einander im Gedenken an die Toten an den Händen hielten, klammerten sie sich damit gleichzeitig auch an die Hoffnung.
Paloma hatte diese Woche für keine etwas Neues zu berichten. Sie ließ den Blick zu der teilweise asphaltierten Straße und über eine Reihe verbeulter alter Automobile bis zu einem Pick-up schweifen, der am geborstenen Bordstein parkte.
Neue Autos waren nichts Ungewöhnliches in Juárez; selbst wenn sich eine Familie kein anständiges Dach über dem Kopf leisten konnte und in den
colonias
hauste, kratzte sie manchmal genügend Geld für einen glänzenden neuen Wagen zusammen. Der hier war schwarz, mit getönten Scheiben und einer großen Fahrgastkabine mit eigenen Türen für die Rückbank. Vier Männer, deren Sonnenbrillen funkelten, lehnten am Auto. Einer hielt eine kleine Kamera auf die Frauen in Schwarz und die hässliche Kirche gerichtet. Er war so weit entfernt, dass Paloma das Klicken der Blende nicht hörte. Er ließ die Kamera wieder sinken.
Paloma entfernte sich von den Frauen. Die redeten miteinander und würden noch eine ganze Weile reden, bis sie sich zu einem späten Frühstück aufmachten. Gelbe Schottersteine lagen auf der Straße. Sie bückte sich und ergriff einen. Als sie sich wieder aufrichtete, machte der Mann mit der Kamera noch ein Bild.
Sie warf den Stein. Die Männer stoben auseinander, der Stein traf dieSeite des Wagens, prallte ab und fiel zu Boden. Einer der Männer kam auf sie zu, doch ein anderer hielt ihn zurück. Hinter Paloma verstummten die Frauen in Schwarz.
»Geht heim!«, schrie Paloma die Männer an.
Eine der Frauen in Schwarz gab ein Zischeln von sich. »Paloma,
qué tú está haciendo?
«
Die Männer blieben bei dem Wagen stehen. Der Wütende machte eine obszöne Geste in Palomas Richtung. Sie wich keinen Millimeter und war bereit, noch einen Stein aufzuheben, zu schreien oder zu kämpfen oder in die Kirche zu flüchten. Die Männer stiegen in den Wagen ein. Die Rücklichter leuchteten auf, die enormen Hinterreifen knirschten auf dem Schotter, dann war der Wagen fort.
Paloma drehte sich zu den Frauen um. Die starrten sie an, und plötzlich schämte sich Paloma. An der Kirchentür standen weitere Kirchgänger wie erstarrt und sahen zu.
»Vamos«,
sagte Paloma.
Sie ging zu den Frauen, dann ließen sie die hässliche Kirche und die Lücke, die der Wagen hinterlassen hatte, hinter sich. Gemeinsam würden sie eine kleine Mahlzeit einnehmen, sich weiter unterhalten, beten, hoffen und bis zur kommenden Woche getrennte Wege gehen.
Sonntags war das eben so.
ELF
Kelly erwachte spät und lag in den schrägen Sonnenstrahlen, die durch das Schlafzimmerfenster fielen. Eine Weile blieb er einfach liegen, doch dann zwang er sich aufzustehen und ins Bad zu gehen, wo er pisste und duschte. Er band ein Handtuch um die Taille. Möglicherweise war er in letzter Zeit ein wenig dünner geworden; er wusste es nicht mit Sicherheit.
Er öffnete eines der vorderen Fenster und die Balkontür, damit es ein wenig durchlüftete. Das Frühstück fiel karg aus, weil er keine Zeit zum Einkaufen gehabt hatte, aber mit dem Geld der vergangenen Nacht konnte er sich am Montag in der
grocería
mal wieder so richtig eindecken. An manchen Sonntagen trank er Bier, um alles runterzuspülen, aber heute nicht.
Sonntag war der Tag, an dem er sich herausputzte, jedenfalls ein Hemd mit Knöpfen und bessere Schuhe als die ausgelatschten Turnschuhe anzog. Er rasierte sich den Hals, ließ den Bart jedoch unangetastet. Er trug einen Ledergürtel mit einer Schnalle aus Silber und einem
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