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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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blutunterlaufen. »Sie hat gesagt, dass sie
dich
besuchen geht!«
    »Ich habe sie nicht gehört«, wollte Kelly sagen, aber er flüsterte nur.
    »Was soll der Scheiß, Kelly? Was soll der Scheiß?« Estéban schüttelte ihn und weinte. »Warum sagst du mir nicht, wohin sie gegangen ist? Sag mir doch einfach nur, wohin sie gegangen ist, damit ich zu ihr kann.«
    »Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist«, sagte Kelly.
    Estéban ließ ihn nicht los; er drückte das Gesicht an Kellys Brust und schluchzte. Kelly legte Estéban die Hände auf die Schultern; sie umarmten sich. Kelly zitterte am ganzen Körper, so sehr weinte er, und er fühlte sich unwohl, als seine Tränen in Estébans Haar fielen, doch dafür war jetzt keine Zeit.
    »Ich will sie nach Hause holen«, sagte Estéban.
    »Ich weiß«, antwortete Kelly, weil ihm nichts anderes einfiel. »Ich weiß.«

FÜNF
    Die Matratze stank so sehr, dass Kelly es nicht über sich brachte, darauf zu schlafen. Er breitete Trainingsanzüge auf dem Boden aus und benutzte die Boxhandschuhe als Kissen. Estéban warf sich auf die Couch. Sie aßen Kellys Tortillas mit Reis zum Abendessen und wechselten kaum ein Wort miteinander. Kurz bevor Kelly einschlief, hörte er Estéban leise weinen.
    Gleich morgen früh wollten sie zur Polizei gehen. Das hatten sie beschlossen. Sie wollten sich waschen und anständig anziehen, damit man ihre Vermisstenmeldung ernst nahm. Estéban besaß ein Bündel amerikanischer Banknoten; er wollte dem Diensthabenden zweihundert Dollar zustecken. Auch das würde man ernst nehmen.
    Kelly hatte Träume. Vielleicht handelten sie von Paloma, vielleicht waren es Alpträume, er erinnerte sich nicht daran. Er schlief länger als beabsichtigt; als er endlich zu sich kam, hörte er Estéban, der sich im Zimmer zu schaffen machte. »Warum hast du mich nicht geweckt?«, rief Kelly. Er ging ins Bad, wusch sich und zog das saubere Hemd an, das sonst dem sonntäglichen Mittagessen mit Paloma vorbehalten war.
    Schicke Schuhe oder Hosen besaß er nicht, also blieben nur Turnschuhe und Jeans, die mussten eben genügen. Er ging ins Wohnzimmer. »Das Bad ist frei«, sagte er. »Du solltest dich beeilen und …«
    »Estéban ist nicht da«, sagte Rafael Sevilla. Er saß auf der Couch, wo Kelly und Estéban am Abend zuvor stumm ihr schlichtes Mahl zu sich genommen hatten. »Er ist unten bei den Nachbarn. Sagt, dass seine Schwester verschwunden ist. Er hat sich nicht so herausgeputzt wie Sie, Kelly.«
    »Was zum Teufel machen Sie hier?«
    »Die Tür stand sperrangelweit offen.«
    Die Tür stand immer noch offen, das Licht war grell. Kelly hielt die Schuhe in der Hand und kam sich albern vor, wie er in seinem Sonntagshemd und noch feucht vom Duschen vor Sevilla stand, während Estéban längst fort war. »Wann ist er gegangen?«, fragte Kelly.
    »Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass Sie wieder in der Scheiße sitzen, Kelly. Und Sie sitzen in der Scheiße, richtig?«
    Kelly sah Sevilla nicht ins Gesicht. Er ging in die Küche, obwohl es dort rein gar nichts für ihn gab. Nur ein Wasserglas, das nicht kaputtgegangen war; das nahm er. »Ich habe Scheiße gebaut«, sagte er.
    »Ich weiß. Aber die Art von Scheiße, die Sie sich nicht leisten können, Kelly. Ich sagte schon: Bei
hierba
kann ich ein Auge zudrücken, bei allem anderen nicht. Ich hätte Sie für klüger gehalten.«
    »War wohl ein Irrtum«, sagte Kelly mit dem Rücken zu Sevilla.
    »Scheint so. Aber ihr Süchtigen seid alle dumm, wenn es um
heroína
geht, hm?«
    »Ich bin
kein
Süchtiger. Ich hab es vermasselt. Das macht mich nicht zum Junkie.«
    »Dann sehen Sie mir in die Augen, wenn ich mit Ihnen rede, Kelly.«
    »Sie können mich nicht herumkommandieren wie einen Schuljungen.«
    Sevilla besaß eine leise, aber dennoch herrische Stimme. Kelly hatte den Tonfall früher schon gehört. »Ein
Mann
könnte mir in die Augen schauen«, sagte Sevilla.
    Kelly drehte sich um. Er betrachtete seine Füße, die Anrichte, das Telefon, die verglaste Schiebetür zum Balkon des Apartments und schließlich Sevilla. Der alte Polizist saß vollkommen regungslos vor ihm. Seine Augen wirkten traurig, die Linien um sie herum tief. Wenn er Sevilla nur ansah, fühlte Kelly sich müde, als teilten sie eine ungewollte gemeinsame Bürde.
    »Ein Ausrutscher«, sagte Kelly. »Ich wollte es nicht. Jetzt ist alles wieder in Ordnung.«
    »Bis zum nächsten Mal.«
    »Nein. Es gibt kein nächstes Mal.«
    »Wenn Sie mit Paloma zusammen wären,

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