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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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was soll der Scheiß? Ich versuche seit
einem Monat,
dich zu erreichen,
cabrón
! Ich bin vor deiner Tür gestanden, ich habe dich angerufen … komm mir jetzt nicht mit so einem Mist. Wo ist Paloma?«
    »Ich habe nicht … du bist nicht hier gewesen«, sagte Kelly.
    »Und ob ich da gewesen bin! Ich hab eine geschlagene Stunde lang an deine Tür geklopft. Verflucht, wo ist meine Schwester,
pinche

    Kelly stützte sich mit der Hand auf die Anrichte. Er fühlte sich schwindelig, als würde der Boden kippen, und er wollte sich setzen. »Sie ist nicht hier. Sie … sie hat mich ein paar Mal angerufen.«
    »Wann?«
    »Ich weiß nicht.«
    Kelly hörte Estéban am anderen Ende der Leitung atmen, kurze, abgehackte Atemzüge. Kelly fror. »Das ist nicht komisch«, sagte Estéban schließlich. »Sag mir, wo sie ist.«
    »Ich weiß es nicht. Ich schwöre bei Gott, ich weiß es nicht. Hör zu … ich hab Scheiße gebaut, Mann. Sie hat mich angerufen …«
    »Sie hat sich deinetwegen
Sorgen
gemacht, Kumpel! Wie wir alle. Ich hab da was läuten hören, es aber nicht geglaubt. Jemand behauptet, dass du H gekauft hast. Ich sage, das ist völliger Blödsinn, weil du das Zeug nicht mehr anrührst. Paloma sagt, sie geht nach dir sehen, und dann nichts mehr. Raus damit, was hast du zu ihr gesagt?«
    »Ich habe gar nichts gesagt …«, begann Kelly.
    »Hast du sie geschlagen? Wenn du sie geschlagen hast und sie ist weggelaufen,
cabrón,
dann ramme ich dir ein Messer in den Bauch.
Entienda?
Ich ramm dich ungespitzt in den Boden. Ich mach dich fertig, Kumpel.«
    Kellys Schläfen pochten; er rieb sie. Estéban tobte weiter. Kelly fühlte sich benommen, der Boden kippte immer mehr. Wenn Estéban einfach das Maul halten würde, könnte er sich konzentrieren, aber Estéban gab keine Ruhe und ertränkte Kelly mit seinem Wortschwall.
    »He, bist du noch da?«
    Er lag neben dem Telefon auf dem Boden, hielt aber den Hörer noch ans Ohr. »Ich muss umgekippt sein«, sagte Kelly.
    »Ich komm zu dir.«
    »Nein. Ich komme zu dir«, sagte Kelly, aber Estéban hatte schon aufgelegt. Er legte den Hörer weg und versuchte aufzuräumen. Binnen zehn Minuten füllte er zwei große Plastiktüten. Die alten Laken warf Kelly weg. Im Schlafzimmer roch es immer noch nach Ammoniak. Die Matratze ließ einen fleckigen braunen Umriss erkennen, wo Kelly ungewaschen geschlafen und geschwitzt und
chinaloa -Träume
geträumt hatte. Sie war ruiniert; auch sie musste er wegwerfen.
    Als Estéban auftauchte, hämmerte er gegen die Tür. Kelly öffnete, Estéban stürmte an ihm vorbei. »Paloma? Paloma,
está aquí

    »Sie ist nicht hier«, sagte Kelly.
    Estéban durchsuchte das gesamte Apartment. Er kam ins Wohnzimmer zurück; Kelly sah, dass er auch abgenommen hatte. Dunkle Ringe unter den Augen, ungekämmtes Haar. Er hatte sich seit Tagen nicht mehr rasiert. Seine zerknitterte Kleidung erweckte den Eindruck, als hätte er darin geschlafen. Estéban sah aus, als müsste er gleich weinen. »Wo ist sie, Mann? Sag mir nur, wo sie hingegangen ist. Ich verspreche dir, ich tu dir nichts. Du hast mit ihr Schluss gemacht, sie hat mit dir Schluss gemacht, es spielt keine Rolle.«
    »Sie ist nicht hier«, wiederholte Kelly.
    »Was zum Teufel
meinst
du damit, sie ist nicht hier?« Estéban schlug den Hörer vom Telefon. Er trat gegen den Kühlschrank, sodass eine Delle zurückblieb. Kellys bisschen Geschirr stand ungespült auf der Anrichte. Estéban fegte es zu Boden. »Verdammt, was hast du ihr angetan? Wo zum Teufel bist du gewesen?«
    Kelly stand an der Tür. Er hatte nicht versucht, sie zu schließen. Er stand dort wie angewurzelt. Als das Geschirr klirrend zerschellte, zuckte er nicht einmal zusammen. Er hörte ein Rauschen in den Ohren. »Sie war nicht hier.«
    »Du hast auch gesagt, dass
ich
nicht hier war!«
    »Ich habe dich nicht gehört«, sagte Kelly. Sein Hals schmerzte, seineStimme klang höher. »Ich war high, Mann. Ich war total hinüber. Wenn sie hier war … habe ich sie nicht gehört.«
    »Mierda!«
    Estéban trat wieder gegen den Kühlschrank; die Tür sprang auf. Kellys Vorrat an in Plastikfolie verpackten Tortillas war zur Hälfte aufgebraucht. Der Rest des Kühlschranks war leer und sah im Schein des kleinen Lichts gelbfleckig und trostlos aus.
    Als Estéban auf ihn zustürmte, blieb Kelly einfach nur stehen. Estéban packte ihn am Hemd. Sein Gesicht sah verzerrt und verzweifelt aus, und jetzt weinte er tatsächlich. Das Weiße in seinen Augen war

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