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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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aufs Glatteis führen: Manchmal redete man sich als Polizist ein, dass man etwas wüsste, und zog leicht falsche Schlussfolgerungen daraus. Madrigal kannte er. Die anderen nicht. Er wollte weder sich noch anderen einreden, dass es anders wäre.
    Sevilla machte sich nicht viel aus Fisch, dennoch hatte er Lachs bestellt. Der schmeckte ausgezeichnet, genau wie die
quesadillas.
Einen Moment fühlte er sich in seiner Aufmerksamkeit zwischen seinem Teller und den Männern an Madrigals Tisch hin- und hergerissen, doch als er den Lachs allzu schnell verzehrt hatte, blieb ihm nur noch das Wasserglas.
    Madrigal hatte mindestens zwei Gänge Vorsprung; als Sevilla sah, dass die Kellner Kaffee brachten, wusste er, dass er nicht mehr warten durfte. Seine Hände fühlten sich feucht an. Er wischte sie an der Serviette ab. Als er fertig war, atmete er tief durch und erhob sich von seinem Stuhl. Nervösdurchquerte er den Saal. Als sich der erste Kopf in seine Richtung drehte, lächelte Sevilla.
    »
Excúseme,
meine Herren«, sagte Sevilla. »Ich möchte nicht stören. Rafa Madrigal? Juan Villalobos. Sie erinnern sich vermutlich nicht an mich, aber wir sind uns vor einigen Jahren begegnet.«
    Alle Männer sahen Sevilla an, der sich große Mühe gab, ihre stechenden Blicke zu ertragen und die Haltung zu bewahren. Die meisten Gesichter blieben ausdruckslos, nur der junge Mann zog eine mürrische Grimasse. Madrigals Augen waren unergründlich, bis seine Mundwinkel zuckten, und er grinste. »In Mexico City, richtig?«, fragte er.
    Sevilla verkrampfte sich innerlich. »Ja. Beim Wohltätigkeitsball der Polizei.«
    »Ja, ja, ich erinnere mich. Sie waren mit Ihrer Frau dort. Verzeihen Sie, Señor Villalobos, ich hatte Ihren Namen vergessen. Schön, Sie wiederzusehen.«
    Sevilla schüttelte Madrigals ausgestreckte Hand. Der Mann hatte einen festen Händedruck. Sein Haar mochte früh ergraut sein, doch der Handschlag machte Sevilla deutlich, dass er es nicht mit einem alten Mann zu tun hatte. Sein Gesicht war schmal und glattrasiert. Obwohl Sevilla zu viel für einen Friseur bezahlt hatte, kam er sich mit Schnauzer ungepflegt vor.
    »Ich wollte nicht stören«, sagte Sevilla. »Ich lasse Sie jetzt in Ruhe weiteressen.«
    Er wandte sich ab. Madrigal hielt ihn am Ärmel fest. »Nein, nein, bitte bleiben Sie. Sind Sie noch beim Essen? Lassen Sie es hierherbringen, wenn Sie die Gesellschaft nicht stört.«
    Sevilla tat so, als müsse er überlegen. »Also gut, aber bitte fühlen Sie sich nicht verpflichtet. Ich wollte nur hallo sagen.«
    »Unsinn, bitte setzen Sie sich.«
    Der Mann winkte einem Kellner, der Sevillas Essen zu dem freien Platz zwischen den Männern brachte. Sevilla saß dem jungen Mann gegenüber, dessen Miene sich nicht verändert hatte. Die anderen schienen nur neugierig zu sein und begrüßten Sevilla nacheinander freundlich, als sie ihm vorgestellt wurden.
    »Und das ist mein Sohn Sebastián«, sagte Madrigal.
    »Mucho gusto«,
sagte Sevilla.
    »Igualmente«,
antwortete der junge Mann ohne rechte Begeisterung.
    Madrigal bemerkte es offenbar nicht. »Wenn Sie fertig sind, müssen Sie diesen Kaffee kosten«, sagte er zu Sevilla. »Er schmeckt nach Lakritze. Ausgezeichnet. Ich will nicht so tun, als wüsste ich, was die da reintun. Jedes Mal sagen sie es mir, und immer wieder vergesse ich es.«
    »Sie haben mit Wohltätigkeit zu tun?«, fragte einer der anderen Männer. Sein Name war Hernández.
    »Ja. Besonders für Polizei und Krankenhäuser. Beide brauchen wir heutzutage offenbar mehr denn je.« Sevilla glaubte kaum, was ihm alles über die Lippen kam. Er erzählte von drei verschiedenen Wohltätigkeitsveranstaltungen, als wäre er ein regelmäßiger Teilnehmer, und verhaspelte sich nicht einmal. Er erzählte ihnen von seinem Haus in Mexico City, dem Tod seiner Frau, der Langeweile im Ruhestand. Das Essen nahm seinen Lauf. Er blieb in seiner Rolle, so perfekt und makellos wie die
chichilo negro,
die zu den Steaks gereicht wurde. Er war ein Meister seines Fachs.
    Sebastián sagte etwas, das Sevilla nicht hörte.
    »Pardon?«
    »Warum sind Sie in Ciudad Juárez?«, wiederholte Sebastián.
    Sevilla hielt die Hände hoch. »Zur Abwechslung. Außerdem finde ich, dass allein das Steak hier die Reise wert war.«
    Die älteren Männer lachten, Sebastián nicht. Er verstummte.
    »Wie lange bleiben Sie in der Stadt?«, wandte sich Madrigal an Sevilla.
    »Eine Woche, vielleicht zwei. Ich habe mir überlegt, ob ich einen Abstecher über die

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