Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Der Questore hatte angekündigt, die Spezialeinheit werde aufgelöst, und er würde nach Mailand zurückkehren. Er war zum Chef der Polizeikräfte Norditaliens befördert worden. » Promoveatur ut amoveatur. Die glauben, dass ich ihnen da weniger auf die Nerven falle, aber die wissen noch nicht, wen sie sich da ins Haus holen.«
Von den anderen gab es Schulterklopfen, Umarmungen und Glückwünsche, Roberto hingegen hatte die Beförderung als Verrat erlebt.
Durch eine seltsame Wendung des Schicksals war er dann sogar noch vor Bernini selbst gezwungen gewesen, Rom und die Spezialeinheit zu verlassen. Er erinnerte sich noch an das Büro des Questore voll mit Kartons. Er erinnerte sich, wie Bernini ihm seine großen Hände auf die Schultern gelegt hatte. Er erinnerte sich an seine Worte.
»Du musst dich erst mal wieder selbst finden. Bleib weg von allen Toten und Ermordeten. Du musst erst mit dir selbst Frieden schließen, bevor du es mit dem Rest der Welt tun kannst. Ich versetze dich nach Case Rosse. Das ist das kleinste Kommissariat Italiens, außer dir sitzt da nur noch ein anderer Beamter. Carabinieri-Sachen. Der Innenminister sähe es gern, wenn ich da dichtmache, aber ich tu mal noch eine Weile so, als hätte ich das vergessen.«
Eine Hoffnung zu haben war besser als gar nichts. Deshalb hatte Roberto angenommen, noch bevor er wusste, wo das Dorf überhaupt lag und welche Bedingungen Bernini stellte.
»Erstens: Sie müssen sich jederzeit für jeden möglichen Fall bereithalten, in dem meiner unanfechtbaren Einschätzung nach Ihr Eingreifen notwendig ist. Wohlgemerkt: Ich habe unanfechtbar gesagt. Zweitens, viel wichtiger: Sie müssen mich konsultieren, bevor Sie irgendwelche Dummheiten machen. Denn die Polizei zu verlassen ist eine Dummheit für jemanden wie Sie. Sie würden weiter den Polizisten spielen, auch ohne Uniform. Es steckt einfach in Ihnen.«
Roberto nimmt den Kopf zwischen die Hände und starrt auf die graue Oberfläche des Schreibtischs. An seinem Gaumen hat sich die Süße des Balsamico in einen herben Geschmack verwandelt.
Alice hält es nicht mehr aus, sie platzt vor Neugier. » Santapolenta, du bist ja weißer als ein Leintuch.«
Roberto blickt durch sie hindurch. »Es gab nur einen einzigen Menschen, der mir sagen konnte, dass ich zu meinen Albträumen zurückkehren sollte, und der überzeugt davon ist, dass er mir damit etwas Gutes tut. Einen einzigen. Und er hat es getan.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Bernini hat mir den Fall übertragen.«
Alice reißt die Augen auf, dann wirft sie sich nach vorn und umarmt ihn. Im ersten Moment will er sich entziehen, unmittelbar danach spürt er das Bedürfnis, diese Empfindungen zu verlängern, die er längst verloren geglaubt hatte.
»Herzlich willkommen in deiner Vergangenheit«, flüstert sie ihm ins Ohr.
Roberto wird von einem Schauder geschüttelt. Alice umarmt ihn fester.
12
A ls Manzini wieder hereinkommt, findet er Roberto im Wohnzimmer im ersten Stock. Allein, den Blick auf die großen Fenster gerichtet. »Wo ist denn die Dottoressa?«, fragt er.
»Weg.«
»Sieht wirklich toll aus, wie du mir erzählt hattest.«
»Also hast du erkannt, wer das war.«
»Dazu brauchte es ja nicht viel. Man musste dir nur ins Gesicht sehen.«
Roberto breitet die Arme aus. Seine Stimme klingt müde. »Irgendwer macht sich einen Spaß daraus, mein Leben Stück für Stück auseinanderzunehmen, um es dann nach seinem Geschmack wieder zusammenzusetzen. Alice ist nicht die einzige verrückt gewordene Variable. Questore Bernini hat mir befohlen, den Fall der Toten am Monte della Libertà zu übernehmen. Ich konnte nicht ablehnen, und ich brauche deine Hilfe.« Er hat keinen besseren Weg gefunden, es zu sagen.
Manzini reißt die Augen auf. Ihre Beziehung gründet sich auf langes Schweigen und wenige Worte, aber während der endlosen nächtlichen Dominopartien hat er nach und nach einige Bruchstücke aus Robertos Vergangenheit entdeckt und den Grund, weshalb er geflohen ist. Er weiß, was für eine Prüfung ein so schwieriger Fall für ihn sein könnte. Langsam nickt er.
Ich bin nicht allein. »Danke. Fangen wir sofort an. Erzähl mir, was Guerzoni gesagt hat.«
Der Kollege springt auf. »Ich geh das Protokoll holen.«
»Ich muss deine Eindrücke hören, die Akte lese ich später.«
Manzini setzt sich wieder. Er zieht den Kamm heraus und fährt sich damit durchs Haar. »Berto ist um sechs aufgewacht, wie immer. Er hat einen Getreidekaffee getrunken,
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