Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
weil er kein Koffein verträgt. Er hat keine Familie, deshalb hat er ihn für sich allein gekocht.« Er unterbricht sich. »Interessieren dich auch diese Einzelheiten?«
Roberto kann die Unsicherheit des Kollegen nachvollziehen. Es ist das erste Mal, dass er mit einem Mordfall zu tun hat. Er fühlt sich überfordert und weiß, dass er am Monte della Libertà versagt hat. »Berninis goldene Regel: Kein Detail ist so unbedeutend, als dass man es übergehen könnte.«
Manzini fasst Mut. »Gegen Viertel nach sechs ist er aus dem Haus gegangen, um Holz für den Kamin und den Ofen zu sammeln. Er ist ein paar Hundert Meter durch den Wald gegangen und am Prà grand herausgekommen. Da hat er was bemerkt. Er ist hingegangen, um sich das von Nahem anzusehen. Er sagt, dass er beinahe einen Herzinfarkt bekommen hätte, als er erkannt hat, dass es sich um drei Leichen handelte, und dass er sofort nach Hause zurückgelaufen ist, um mich anzurufen. Den Rest kennst du. Ich bin hingerast, habe die Szene gesehen und hab dich über Funk angerufen.«
»Er ist hingegangen? Hat er sie angefasst?«
Manzini denkt eine Sekunde nach, bevor er antwortet. »Er hat Nein gesagt.«
Folglich, wenn wir seine Abdrücke finden …, überlegt Roberto. »Wann sind die anderen gekommen? Der Bürgermeister, Alver, Argìa …«
Manzini seufzt. Er schaut auf seine Hände herunter. »Ich weiß es nicht. Vielleicht waren sie auch schon da. Ich weiß es wirklich nicht. Tut mir leid, ich war außer mir.«
»Aber woher wussten sie von den Leichen? Wer hat sie benachrichtigt?«
Eine verärgerte Stimme von draußen unterbricht sie.
»Eh! Wär’s wohl möglich, dass in einem Kommissariat auch jemand da ist, der mal aufmacht?«
Roberto flucht. Er öffnet eines der großen Fenster und lässt einen Schwall eiskalter Luft hereinströmen. Sernagiotto steht kerzengerade auf der Piazza, wie eine Nähnadel auf einem Stück Stoff. Von hier oben sieht es aus, als würde die krumme Nase das Kinn berühren.
»Es gibt eine Klingel.«
»Sehr witzig, Serra. Ich klingle schon seit einer Stunde!«
Ich hätte ja Lust, ihn da unten noch ein bisschen schmoren zu lassen, aber besser, die Sache jetzt gleich beenden, die Leute vor der Osteria genießen schon das Spektakel. »Wir kommen.«
»Je früher, desto besser. Man friert hier ja ein.«
13
K aum hat er den Fuß ins Kommissariat gesetzt, sieht Sernagiotto sich um, als sei er in ein Alien-Raumschiff gebeamt worden. Trotz der langen Zeit, die er mit den Vermessungen im offenen Gelände zugebracht hat, sehen seine Uniform und die Lederschuhe makellos aus. In Robertos Büro faltet er sich auf einen für ihn viel zu kleinen Stuhl.
Von den Direktionsbüros der Kriminaltechnik muss er einen ziemlich anderen Stil gewohnt sein.
Manzini bringt beiden einen dünnen, bitteren Filterkaffee. Mit einer vielsagenden Grimasse zeigt der Vizequestore, dass er gar nicht seinem Geschmack entspricht. Er würgt ein paar Schlucke herunter, dann zieht er das goldene Feuerzeug und das Päckchen Marlboro heraus.
»Hier drin wird nicht geraucht«, bremst ihn Roberto.
Fluchend über das Dreckskaff, in dem er hier gelandet ist, steckt der andere die Zigaretten wieder weg. »Questore Bernini«, sagt er resigniert, »hat angeordnet, dich ins Team aufzunehmen, und befohlen, dass ich dir Folge leisten soll, auch wenn ich’s nicht verstehe.«
»Ich erklär’s dir. Er glaubt, ich kann dafür sorgen, dass der Mörder einen Namen und ein Gesicht kriegt, und du nicht. Das ist alles.«
Sernagiotto setzt sich auf, sichtlich verwirrt. Vor sich hat er einen vollkommen anderen Mann als den, den er vor wenigen Stunden fortgeschickt hat.
»Entspann dich. Wenn wir den Fall lösen, wird es der Erfolg eines brillanten Vizequestore sein, der zur Beförderung vorgeschlagen wird. In dem Augenblick, als ich Rom verlassen habe, habe ich auf eine Karriere verzichtet. Mir reicht es, mit Bernini in Kontakt zu stehen, und mit Manzini als meinem Mitarbeiter. Der ganze Rest der Welt gehört dir, einschließlich Fernsehen, Radio, Tageszeitungen und Zeitschriften.«
Sernagiotto mustert abwechselnd Roberto und Manzini, der, ohne ein Wort zu sagen, stehen geblieben ist. Er wägt die Vor und Nachteile des Angebots ab. Er hat nicht die geringste Lust, sich wochenlang in der Eiseskälte aufzuhalten, und in Bologna gibt es ein paar Abendeinladungen, bei denen er unmöglich fehlen kann. Und jemanden zu haben, dem man im Falle eines Scheiterns die Schuld geben kann, ist
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