Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
musste man sofort anhören.
10
D er Nebel verhindert den Blick auf die eisglatte Oberfläche der Straße. Die Wolken verdunkeln die Sterne und den Mond. Manzini fährt mit einer Sicherheit, um die Roberto ihn beneidet. »Es reicht, einfach nicht zu bremsen«, erklärt der Kollege, als wäre es das Natürlichste der Welt. »Es reicht, einen Gang runterzuschalten, um langsamer zu werden.«
Schaukelnd arbeitet sich der Campagnola den Anstieg zu Berto Guerzonis Hof hinauf. Der Lichtkegel der Scheinwerfer leuchtet einen Teil eines alten zweistöckigen Bauernhauses an. Der bröckelige Putz weist eine düstere Farbe auf, deren genauer Ton im Dunkeln nicht zu erkennen ist. Das heruntergekommene Dach ist nur lückenhaft mit Dachpfannen bedeckt.
Die Fenster sind mit schweren Läden verschlossen, bis auf eines, das sich direkt neben der Eingangstür befindet. Es sieht aus wie das einzige Auge eines großen Tieres. Kein Licht, kein Rauch, der aus dem Kamin steigt. Alles lässt darauf schließen, dass Guerzoni nicht zu Hause ist.
»Wir machen erst mal eine Runde ums Haus«, beschließt Roberto. Die Atmosphäre, die über diesem Ort hier liegt, gefällt mir nicht.
Hinter dem Haus taucht ein zweites Gebäude auf, aus unverputzten Backsteinen, dem die ganze Vorderseite fehlt, als hätten die Maurer ihre Arbeit nicht zu Ende geführt. Die Scheinwerfer beleuchten die Vorderreifen des Landini, der in dieser Remise geparkt ist. Guerzoni kann nicht weit sein.
»Bleib stehen.« Roberto steigt aus, bevor Manzini eine Frage stellen könnte. Die Stille wird nur durch den eiskalten Wind unterbrochen, der zwischen den kahlen Bäumen flüstert und in Gesicht und Hände beißt. Robertos Schuhe bringen den gefrorenen Mantel aus toten Blättern zum Knacken. Vorsichtig tritt er in das Gebäude. Darin steht ein unangenehmer Geruch. Tastend findet er einen Lichtschalter zwischen Spinnweben. Die armselige Funzel, die von der Decke baumelt, verströmt ein schwaches Licht. In einer Ecke steht auf dem Lehmboden eine Ansammlung von Käfigen. Die Kaninchen blicken ihn an, ohne ihre Beschäftigung zu unterbrechen: kauen. Auf der anderen Seite picken ein dicker Hahn und ein paar zerrupfte Hennen in einem rudimentären Hühnerstall aus einem Stück Maschendraht und zwei Paletten herum. Rundherum an den Wänden liegt eine Ansammlung aller landwirtschaftlichen Geräte, die man so braucht: Pflugschar, Pflug, Egge, Spaten, Hacke und andere Werkzeuge, deren Gebrauch er nicht kennt. Alle mit Erde und Mist verklebt, dem Gestank nach zu urteilen.
Glücklicherweise mischt sich in den Geruch des alten Mists nichts vom Duft verrotteter Blumen. Roberto nähert sich einer wackeligen Leiter, die in einer Luke in der Decke aus ungehobelten Brettern verschwindet. Dahinter sind unordentliche Haufen aus Heubunden erkennbar, die mit einem dicken Eisendraht zusammengehalten werden.
Er verwirft die Idee, hinaufzuklettern, sondern macht sich daran, den Traktor zu inspizieren. Er muss kräftig ziehen, um die Tür aufzubekommen. In der Fahrerkabine sind Erdspuren und schmutzige Lumpen. Neben dem Sitz steckt eine durchsichtige Flasche: Er zieht den Korken heraus und schnuppert. Sie enthält kein Wasser. Die Reifen sind dieselben, die die Spuren in den Zufahrtsweg gegraben haben. Einige der Schrammen und Beulen, die überall über die orangefarbene Karosserie verteilt sind, stammen mit Sicherheit von der ausladenden Kastanie.
Kein einziger Blutfleck. Nichts Verdächtiges.
Er kehrt zum Campagnola zurück; die Kälte ist beinahe unerträglich. »Wir kehren zur Vorderseite zurück«, sagt er.
Der Geländewagen fährt an einem Häuschen aus Ziegelsteinen vorbei, wahrscheinlich die Toilette, dann richtet er die Scheinwerfer auf den Eingang des Hauses, von dem sich der Putz löst wie beim Rest des Hauses.
»Hast du die Pistole?«, fragt Roberto, bevor er aussteigt. Verdammte Angewohnheit, die ständig zu vergessen! Manzini zuckt zusammen, dann nickt er.
In der Mitte der Tür hält unpassenderweise ein Löwe aus Eisen den Klopfer im Fang. Er sieht aus, als wollte er einen eher davon abhalten zu klopfen als umgekehrt. Roberto lässt sich nicht einschüchtern. Die Schläge hallen im Inneren des Hauses wider und verlieren sich draußen zwischen den Kastanien. Keine Reaktion. Er drückt gegen die Tür. Wieder ohne Erfolg.
»Abgeschlossen«, bestätigt er dem Kollegen, der reglos hinter ihm steht, eine Hand an der Pistolentasche. Sie gehen ein paar Schritte zur Seite zu dem Fenster
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